Tristan
den Ästen des Baumes festhielten, sprachen kein Wort untereinander. Einige Wolken schoben sich vor den Mond, dann wurde es wieder hell.
Da kam wie aus der Erde empor Brangaene. Marke hielt den Atem an. Sie warf etwas ins Wasser, wandte sich um, machte eine leichte Verbeugung, flüsterte ein paar Worte und verschwand im Schatten der Bäume. Daraus trat nun Isolde hervor. Marjodô konnte sich nicht enthalten, Marke gegen die Schulter zu stoßen, der ihn erbost und abschätzig anblickte, er sah ja selbst, was er vor Augen hatte. Doch Marjodô konnte nicht ahnen, welcher Schmerz Marke dieser Anblick bereitete.
Isolde ging am Bachlauf auf und ab. Sie faltete dabei die Hände, legte die Fingerspitzen an ihr schön geformtes Kinn, beugte das Haupt, Stirn und Gesicht wurden vom Pelzrand ihrer Kapuze verdeckt. Marke fühlte sich unwohl auf dem Baum, sein wib so zu sehen, so allein, hilflos, in sich versunken mitten im Mondschein. Er vergaß ganz den Truchsess. Trübe Gedanken wanderten durch seinen Kopf, warum die schöne Isolde ihm noch immer kein Kind geboren hatte. Es mochte mit ihrem häufigen Kranksein zu tun haben oder mit Heimweh. Es mochte auch sein, dass die großen Erwartungen, die alle Barone Cornwalls in diese Ehe setzten, die junge Königin daran hinderten zu empfangen, obwohl sie beide nun schon so viele Male beieinandergelegen hatten. Sie war immer willig gewesen, hatte sich ihm nie verweigert. Marke war bisweilen etwas stürmisch und wohnte ihr in letzter Zeit immer öfter bei, weil er das Gefühl hatte, seine Pflicht erfüllen zu müssen. Dabei merkte er, dass er sich manchmal schwach fühlte, die Liebe dauerte nur kurz, und er sank oft schnell zurück in seine Kissen, war nicht unbefriedigt, aber unzufrieden. Wachte er früh am Morgen auf, war das Lager neben ihm meist leer. Verwirrt suchte er dann nach Isolde in den Räumen auf der anderen Seite des Flurs. Da fand er sie manchmal zusammen mit Brangaene oder Helen im Gespräch, und in den vergangenen Wochen sah er sie sogar einmal mit Paranis, dem Knecht, den er selbst ihr zur Seite befohlen hatte, um ein lebendes Schutzschild zwischen sie und Tristan zu schieben. Das war auf Anraten Melôts geschehen. Schaden konnte es nichts, hatte sich Marke gedacht, aber Schaden könnte es erzeugen, dachte er, nachdem er Knecht und Königin zusammen gesehen hatte. Sie gingen im Garten off nebeneinander her, so wie in diesen Momenten Isolde allein vor sich hin ging. Es gab nichts Verfängliches, nicht damals und nicht heute. Bis Isolde plötzlich stehen blieb.
Nun stieß Marke Marjodô in die Seite, denn der Truchsess schien ihm, in der Astgabel sitzend, eingeschlafen zu sein. »Was ist denn?«, brauste Marjodô auf. »Psst!«, zügelte ihn Marke. »Da ist jemand!«
Sie sahen mit aufgerissenen Augen, wie Tristan zwischen den Birken hervortrat, und waren beide gleichermaßen verwundert. Denn der junge Ritter trug einen Anzug, der gescheckt war wie die Rinde der Bäume. Hätte er nicht Beine und Arme gehabt, die sich bewegten, wäre er von einer Birke nicht zu unterscheiden gewesen. Das Fell von Hunden, schoss es Marke durch den Kopf. Nie zuvor hatte er an Tristan eine solche Bedeckung wahrgenommen. Und wie lange hat er schon zwischen den Baumstämmen gestanden?, fragte er sich. Hat uns genarrt, hat uns erkannt, hat unseren Anritt mitbekommen?
Je mehr Fragen Marke durch den Kopf gingen, desto unruhiger wurde er. Er blickte zu Marjodô hinüber, der wie ein Sack auf seinem Ast lag, und dachte, dass er, der König, gerade nicht viel anders aussähe. Marjodô achtete nicht auf seinen König. Er starrte auf das Paar hinunter, dass sich plötzlich nebeneinander hinkniete und offensichtlich zu beten begann.
Marke konnte es nicht fassen. Er wollte nicht mitansehen, was die beiden vor seinen Augen taten. Und jetzt gelangten auch noch ihre Worte an sein Ohr! Sie beteten für ihn! Dass ihm Gott eine gute Jagd beschere, Glück und Zuversicht für die kommenden Jahre! Kraft im Kampf gegen die Sachsen! »Heiliger Antonius, bitte für uns!« Damit schlossen sie jeden ihrer Psalmen.
Marke war beinahe so weit, vom Baum hinunterzuspringen, die beiden zu umarmen und sie wegen seines Misstrauens um Verzeihung zu bitten. Doch dazu war er nicht fähig. Er musste ausharren, bis Isolde und Tristan endlich ihre Fürbitten beendeten! Tristan verneigte sich vor Isolde, Isolde verneigte sich vor Tristan, beide verschwanden in verschiedene Richtungen, und zurück blieben Marke und sein
Weitere Kostenlose Bücher