Tristan
ungeduldigen Ton angenommen. Courvenal schreckte zurück, er wollte keinen Streit. Wieder suchte er sich einen Schlafplatz in einiger Entfernung vom Zelt der beiden, hörte von ihnen in dieser Nacht jedoch keinen einzigen Laut.
Am nächsten Morgen ließ Tristan, kaum hatten sie ihre Sachen zusammengepackt, sofort aufsitzen. Man könne auch während des Reitens etwas essen, sagte er und führte die kleine Gesellschaft Pfade entlang, die von Tieren ausgetreten waren. Irgendwann kreuzten sie einen Weg und stießen an seiner Seite auf einen Bach.
»Hier ist es, hier bin ich gewesen!«, rief Tristan plötzlich und ritt von der Straße ab zwischen niedrigen Weiden hindurch, deren Blätter und Zweige Courvenal und Isolde sich vom Gesicht weghalten mussten. Sie baten Tristan, nicht so schnell vorauszueilen, weder sie selbst und noch weniger die Packpferde würden ihm folgen können. Tristan achtete nicht auf die Zurufe, die in seinem Rücken verhallten. Er hörte nur das vielversprechende Murmeln des Baches, das seinen Weg begleitete, und stieg schon bald von seinem Pferd, um mit dem Schwert einen Gang durch das Gebüsch frei zu schlagen. Dann entdeckte er an den Felssteinen, die sie umgehen mussten, die ihm wohlbekannten Einkerbungen wieder, bis er schließlich unverhofft vor der von wuchernden Pflanzen halb bedeckten steinernen Mauer stand. Über seinem Kopf sah er den eisernen Ring. »Dich habe ich gesucht!«, sagte er leise, fast ehrfürchtig, und ließ ihn nicht aus den Augen, vor lauter Angst, er könnte ein Trugbild sein und plötzlich seinem Blick entschwinden. Da näherten sich Courvenal und Isolde, die ebenfalls ihre Pferde an Leinen hinter sich herführten.
Courvenal trat neben Tristan. »Sind wir angekommen?«, fragte er.
»Noch nicht ganz. Wir müssen noch durch den Fels hindurch.«
Courvenal konnte sein Erstaunen nicht verbergen. »Woher weißt du das alles?«
»Ich weiß gar nichts«, antwortete Tristan leise, »ich ahne es nur. Merkst du nicht, wie hier schon alles ganz anders riecht?« Er streckte die Hand aus und zog an dem Ring. Nichts geschah.
»Das sieht nach römischer Arbeit aus«, sagte Courvenal und drückte Tristan behutsam beiseite. Er griff mit beiden Händen in den Eisenring und drehte ihn in die Richtung, in die er nachgab. Ein Mechanismus schien dadurch ausgelöst zu werden, und dumpfe Schläge waren zu hören. Dort, wo die Felswand nicht von Kletterpflanzen überwachsen war, tat sich ein Spalt auf. Courvenal und Tristan stemmten sich gegen das Gestein, ein Tor öffnete sich, schwang, wohl vom Gewicht gezogen, auf und begann sich nach einem Anschlag auch gleich wieder langsam zu schließen. Tristan schrie auf, weil er befürchtete, Isolde würde draußen bleiben. Eiligst zog er sie selbst und dann die Pferde durch das Tor, bis es sich hinter ihnen schloss. Geängstigt und aufgeregt zugleich umarmte er seine Geliebte, flüsterte ihr ins Ohr, wie glücklich er sei, sein Versprechen gehalten zu haben, als Courvenal ihn beruhigte, das Tor lasse sich in gleicher Weise auch von innen öffnen, wenn kein Riegel davorgeschoben worden sei.
Erst jetzt blickten sie sich um. Sie standen in einem völlig verwilderten Park. Noch war es nicht Abend, die Sonne schien ihnen in den Rücken, als sie, die Pferde an den Zügeln führend, staunend das Terrain betraten. Tristan war voller Freude und schien nichts anderes als diesen verwunschenen Garten erwartet zu haben. Die Wege, die in ihn hineinführten, waren überwachsen, aber wie für ihn und Isolde angelegt. Er folgte ihnen, als hätte er sie schon zuvor in seinen Träumen betreten, und gelangte schließlich zu einer Grotte, die in einen Fels gehauen war und in ihrem Innenraum einer Kathedrale ähnelte.
»Wer hat das für uns geschaffen?«, rief er aus, wischte mit den Füßen das Laub am Boden beiseite, eilte auf Isolde zu und umarmte sie. »Unser Haus!«, rief er übermütig.
Courvenal besah sich alles genauer und konnte seine Verwunderung nicht verbergen. Etwas Vergleichbares war ihm noch nicht vor Augen gekommen. Sie waren zu einer Art Tempel gelangt, der vielleicht einst den Römern als Heiligtum für ihre Götter gedient hatte. An den Wänden hafteten Efeu und wilder Wein, aber die Steine waren wohlbehauen, die Bögen der Kathedrale sauber eingepasst und inmitten des Ganzen befand sich eine Art kleine Bühne, früher wohl eine Opferstätte, die Tristan sofort zum gemeinsamen Nachtlager für sich und Isolde erklärte. Er sammelte eifrig trockenes
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