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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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sei von einem Baum gefallen. Wenn er unten bei der versteckten Tür ankam und mit klopfendem Herzen vor die Mauer trat, staunte er zwar immer wieder von Neuem über die freie Landschaft, die er sonst nur von oben über die Mauer wahrgenommen hatte, aber nie bewegte er sich weit von dem verborgenen Eingang fort. Er sah die Hügel, einen Streifen Gestrüpp, ein paar niedrige Bäume, doch alles, was hinter diesem greifbar nahen Horizont lag, kannte er anfangs nicht.
    Erst nach und nach war er auf einem Pfad vorwärtsgekommen, den er sich selbst angelegt hatte, ohne daran zu denken, dass die Wachen ihn eines Tages entdecken könnten. Mit seinem Dolch schnitt Tristan Zweige von den stachligen Büschen, trat unter die Bäume und gelangte an einen Felsvorsprung.
    Von dort aus sah er das erste Mal das wilde Meer. Dieser Anblick einer riesigen halbrunden Scheibe, die an ihrem Ende mit der Himmelsglocke zusammenstieß, bannte ihn so sehr, dass er darüber die Zeit vergaß. Erst in der Dunkelheit kehrte er zur Mauer zurück, als man in der ganzen Burg schon nach ihm suchte und überall Fackeln angezündet und Lampen aufgestellt waren. Mit ein wenig Glück gelang es ihm, den Suchenden auszuweichen, manchmal indem er sich in ihrem Rücken dem Haupthaus näherte. Dort schlich er durch einen Nebeneingang zu seinem Lager, wo die Magd ihn schließlich schlafend liegen sah und allen lauthals von ihrem Fund berichtete. Floräte und Rual kamen angelaufen, und Tristan tat so, als sei er nie weg gewesen, er gähnte sogar, schien verärgert über das Lärmen und verlangte nach Ruhe. Rual wurde von Floräte gescholten, nicht richtig nachgesehen zu haben und sich mehr mit seinen Büchern als mit dem Kind zu beschäftigen. Doch Rual ahnte, dass der Junge sie alle an der Nase herumführte. Er wusste nur nicht, wie.
     
    Hasen ~64~ »Hegennis«
     
    Nachdem er das Meer für sich entdeckt hatte - »mein Meer« sagte Tristan dazu -, schlich er sich mit jedem Tag, den er aus der Burg entwischen konnte, immer dichter an es heran. Das gelang ihm meistens nur ein- oder zweimal zwischen den heiligen Samstagen, da er sonst mit seinen Brüdern spielen musste, Unterricht im Schwertkampf bekam, beim Schmied aushalf, was seinem eigenen Wunsch entsprach, oder in der Kirche sang. Manchmal begleitete er auch seine Mutter, um Gemüse und Kräuter zu bestellen, und zweimal in der Woche übte er mit Rual Rechnen, das Zeichnen von Kreisen, Rechtecken und Quadraten, und das Anlegen von Landkarten. All diese Tätigkeiten bereiteten Tristan große Freude, er war immer ganz bei der Sache.
    Kaum aber ergab sich eine Gelegenheit, einen Tag ohne Verpflichtungen vor sich zu haben, lief er davon. Am schönsten waren die Tage, die ihm »geschenkt« wurden, etwa weil die Brüder kränkelten oder weil Rual ausreiten musste und einige Zeit lang unterwegs war. Dann konnte sich Tristan ganz auf sein Speerwerfen »konzentrieren«, wie er es nannte, denn den Ausdruck der concentration hatte er von Rual, der ihn gern im Munde führte, übernommen, was vor allem Floräte und die Mägde beeindruckte.
    Natürlich wunderten sich die Frauen, dass der Junge oft den ganzen Tag über verschwunden war. Wenn er aber des Abends und immer vor Sonnenuntergang, also zur rechten Zeit, tatsächlich mit einem oder zwei abgetroffenen Hasen über der Schulter in die Kemenate mit der Kochstelle trat, gab es keine Fragen mehr, wo er die Tiere erlegt hatte - denn das war ja sein Geheimnis: dass er sich unsichtbar machte, um »wie ein Ritter« von der Jagd zurückzukehren. Da er immer nur Tiere brachte, denen die Magd mit Lust das Fell über die Ohren zog, weil darunter festes und ausgewachsenes Fleisch zum Vorschein kam, lobte man den jungen Schützen umso lieber und hörte ihm gern zu, wenn er die hintersten Winkel der Burg beschrieb, in die sich diese Prachtexemplare von Langohren vor seinen Speeren oder Pfeilen zu retten versuchten. »Und sie haben es trotzdem nicht geschafft, weil ich schneller war!«, setzte er hinzu.
    »Braver Junge!«, seufzte Floräte und küsste ihn auf die Stirn. Sie konnte ja nicht ahnen, was er in Wirklichkeit erlebt hatte: Gänge durch Schluchten, über steile Abhänge, durch knorriges Gehölz und angeschwemmten Sand, den die Wellen des Meeres bei Sturmfluten einst aufgewühlt hatten. Dort wuchsen Büsche, Wurzeln und Gesträuch mit dicker, saftiger Rinde, die den Hasen Nahrung boten.
    In dieser Wildnis zwischen Sand und Stein, Erde und Gebüsch, erlegte Tristan seine

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