Tristan
im Haus trug. Sie hatten dünne Sohlen aus Leder. Jetzt spürte er jeden Stein, und die Splitter der Muschelschalen, mit denen der schmale Weg beworfen war, schnitten ihm durchs Leder hindurch in die Fußsohle. Das machte ihm zunächst nichts aus, er rannte weiter, um zu seinem Verschlag zu gelangen, in dem er sich hätte ausruhen können; dann aber sah er, wie sich Blut an den dünnen Schäften der Schuhe gesammelt hatte. Er wich vom Weg ab und setzte sich, weil dort ein großer Stein lag, an eine niedrige Mauer, die zwei Felder trennte. Langsam streifte er den rechten Schuh vom Fuß, fühlte dabei den Schmerz, biss die Zähne zusammen und hörte, wie jemand auf dem Weg lief, stehen blieb und heftig atmete. Tristan duckte sich auf den Boden, linste nach oben und erkannte Yella, der oft auf dem Hof herumsaß und als Waldläufer auf Aufträge wartete.
Yella hatte ihn nicht gesehen. Der Junge war seinen Augen entschwunden. Er wunderte und ärgerte sich zugleich, blieb eine Weile auf dem Fleck stehen und ging den Pfad zurück. »Wie vom Erdboden verschluckt!«, sagte Yella.
»Hättest auf den Boden blicken müssen«, sagte Tristan zu sich, als der Waldläufer verschwunden war, »die Blutstropfen hätten dich zu mir geführt!«
Da er nun wusste, dass Yella ihm folgte, musste er doppelt vorsichtig sein. Er umwickelte seinen Fuß mit einem Tuch, das er immer am Gürtel hatte, weil Floräte sehr darauf achtete, dass jedes ihrer Kinder damit ausgerüstet war, und lief über einen Umweg zurück zur Burg. Am Brunnen sah er Yella sitzen und an einem Schlangenstock schnitzen. Tristan gelangte ungesehen in die Gemächer. Merla sagte er, er hätte sich an Tonscherben geschnitten. Sie verband ihm die Füße. Die Wunden heilten bald.
Sobald Tristan wieder unterwegs sein konnte, wollte er Yella eine Falle stellen. Während er in der Kemenate am Tisch saß und mit der Magd ein paar Worte wechselte, beschäftigte er sich mit seinem Plan. Ihm wurde ein wenig bange davor, ihn durchzuführen, aber er hatte von Rual und den Rittern gelernt, dass es am Schlimmsten sei, einen Feind in den eigenen Mauern zu haben. Also musste er Yella aus der Burg entfernen.
Durcheinander ~67~ Verirrt
Es kam ein Donnerstag. Tristan liebte diesen Namen, weil am Donnerstag tatsächlich immer etwas Gewaltiges geschah, was aus dem Himmel kam. Es war nämlich ein Donnerstag gewesen, als Rual schwer verwundet aus einer Schlacht zurückgekommen war, und am Donnerstag waren auch die Ritter von Fürst Morgan gekommen, die Tristan, mit der goldenen Kugel Riwalins in der Hand, wieder fortgeschickt hatte. An diesem Donnerstag nun wollte er Yella loswerden.
Tristan war deswegen früh aufgestanden, hatte nur einen Becher Wasser getrunken und stand schon beim großen Tor, als die ersten Marktfrauen aus der Umgebung mit ihren Karren Einlass erbaten, um beim Brunnen auf dem Burgplatz ihre Ware anzubieten. Das geschah jeden Donnerstag, auch wenn anzunehmen war, dass die wenigsten Marktfrauen einen Donnerstag von einem Mittwoch oder Freitag unterscheiden konnten. Tristan war das einerlei. Aber am Donnerstagmorgen entstand in der Frühe um das Burgtor viel Gewusel und Geschrei, die Leute liefen hin und her, drängten sich gegenseitig aus dem Weg, jeder wollte der Erste auf dem Marktplatz sein, keiner fand sich in dieser Unordnung zurecht - und darum ging es ihm. Er kannte die Wachen, die es kaum schafften, den Verkehr zu regeln. Keinem fiel auf, dass er sich genauso gekleidet hatte wie die Kinder, die die Marktfrauen bei sich hatten. Einmal rief einer der Wächter seinen Namen und hielt einen der Jungen an, der Tristan ähnlich sah. Yella, der Tristan gefolgt war, kaum dass er das Hauptgebäude verlassen hatte, horchte auf.
»Wo ist der Junge hin?«, rief er dem Wächter zu.
»Wieder zurück zum Wald, scheint mir!«, brüllte der Wächter zurück. Denn manche Kinder begleiteten ihre Mütter nur bis zur Burg und liefen wieder zu ihren Hütten, weil sie weiterarbeiten mussten, Holz sammeln, Felle schneiden, Getreide ernten, Leder schaben.
»In welche Richtung?«, rief Yella.
»Zum Steinbruch!«, sagte einer der Wachmänner. Da habe er einen Jungen hinlaufen sehen.
Also lief Yella dorthin. Tristan saß in einem Gebüsch nahe des Tors und freute sich, seinen Verfolger losgeworden zu sein. Wenig später schon war er unterwegs zu seiner Bucht. Vorher grüßte er noch den Schmied und einen Burgsoldaten, den er kannte, um Zeugen dafür zu haben, dass er anscheinend
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