Tristan
Tristan um, der ihm zu seiner Überraschung dicht auf den Fersen folgte und sich den Regen aus den Augen wischte. Mehr als ein paar Meilen, dachte Courvenal, würde sie diese erste Etappe nicht von der Burg wegführen. Dabei war doch sein Plan für den ersten Tag gewesen, dass sie zumindest die Gehöfte des Schäfers erreichten.
Die Sache mit Weinand hatte alles beschleunigt. Warum nur war er nicht früher darauf gekommen, dass der Sänger ein Späher der irischen Königin war? Und warum war es ihm zugleich nicht möglich, das Rätsel zu lösen, dass Weinand ausgerechnet auf Conoêl nach dem sagenhaften Königssohn suchte, vor dem die irischen Druiden solche Angst zu haben schienen wie Herodes vor dem Jesuskind? Weshalb hatte Rual darauf bestanden, dass sie noch an diesem Nachmittag aufbrachen? Weshalb?! Und dazu noch der Regen, dieser verfluchte, wieder heftiger werdende Regen!
Erst im Wald, wo nur einzelne Tropfen auf die Blätter im Unterholz fielen, fand Courvenal zurück zu seinem ruhigen Wesen. Unter einer Baumgruppe richtete er einen geeigneten Platz ein, um die Nacht zu verbringen, und befahl Tristan, trockene Reiser zusammenzusuchen, möglichst viel.
»Warum sind keine Knechte mitgekommen?«, wollte Tristan wissen, der es nicht gewohnt war, Dienste zu verrichten, die sonst von Untergebenen ausgeführt wurden.
Pilger hätten keine Dienstleute, sagte Courvenal kurz. Er begann, über einem Seil Tuchbahnen zu spannen, sodass ein Zelt entstand. Davor legte er eine Feuerstelle an. Aus ein paar Ästen fertigte er ein Gestell. Tristan wusste nicht, wozu es gut sein sollte, wagte es auch nicht zu fragen. Courvenal schickte ihn immer wieder aus, noch mehr trockenes Reisig zu suchen und dürres Holz, das gut und möglichst rauchlos brannte. »Von jetzt an lernst du das wahre Leben kennen«, rief er dem Jungen nach, als er ihn zwischen Büschen verschwinden sah.
Anfangs war Tristan in nächster Nähe um den Lagerplatz herumgekrochen und hatte dort alles, was ihm an dürren Ästen unter die Finger kam, zusammengelesen. Beim dritten Mal, als seinem Lehrer die Menge noch immer nicht genügte, musste er sich tiefer in den Wald vorwagen. Da er aus Geschichten, die ihm Floräte und die Mägde manchmal vor dem Einschlafen erzählt hatten, wusste, wie schnell man sich im tiefen Wald verirren konnte, schuf er sich durch umgeknickte Ästchen Zeichen, die ihm den Rückweg weisen sollten. So kam er sehr schnell mit einem Arm voll Holz zum Zelt zurück - gerade in dem Moment, als Courvenal sich seine Kutte über den Kopf streifte. Da sah Tristan, wie mager dieser Mann war, er bestand nur aus Haut und Knochen. Weder ein Lendentuch noch ein Hemd bedeckten die weiße Haut.
Tristan ließ vor Schreck sein Bündel Holz fallen und wich zurück ins Unterholz, wandte sich um, lief dorthin, wo ihm die Büsche einen Durchschlupf boten, und fand sich plötzlich bei den Pferden wieder. Er verweilte, um zu horchen, ob ihm Courvenal vielleicht folgte. Aber es war alles ruhig bis auf den rauschenden Wind. Er kann mich nicht gesehen haben, dachte Tristan. Trotzdem fühlte er eine Unruhe in sich darüber, dass er seinen Lehrer in seiner Blöße beobachtet hatte.
Da erzitterten plötzlich die Baumstämme, Regen prasselte auf das Laub und durch die Äste der Tannen und Kiefern, die Pferde warfen ihre Köpfe in den Nacken, wieherten, traten mit den Hufen auf der Stelle und zerrten an den Stricken, mit denen sie an den halbhohen Baumstämmen festgebunden waren. Ein heftiger Wind fuhr in Böen durch den Wald, und Tristan glaubte, Courvenal würde nun gleich erscheinen. Doch er hörte nur das Rascheln der Blätter, das Rauschen des Regens, sah, wie sich alles um ihn herum bewegte und zugleich das Licht abnahm. Das Blattwerk wurde zu einer wogenden Decke, und in den Wipfeln der Bäume lag eine Schwärze, die Tristan nicht einmal von den dunkelsten Nächten am Meer kannte. Schließlich war nur noch das Schnauben der Pferde zu hören, doch er konnte sie nicht mehr sehen. Er wusste nicht, wie lange er schon an dieser Stelle am Stamm einer Kiefer verharrte, an deren Borke in kleinen Rinnsalen Wasser hinunterrann.
Courvenal würde ihn wahrscheinlich schon suchen! Tristan musste ihm entgegengehen. Er konnte es nicht zulassen, dass sein Lehrer sich seinetwegen verirrte. Mit dem ersten Schritt, den er in die Dunkelheit hineinwagte, begann er selbst, sich zu verirren. Er wusste nicht mehr, in welcher Richtung das Lager war. Courvenal hatte die Pferde etwas
Weitere Kostenlose Bücher