Tristan
weiter davon entfernt angebunden, damit »diese Angsthasen«, wie er gesagt hatte, seinen Schlaf nicht mit ihrer ständigen Unruhe störten. »Dauernd wackeln sie mit ihren Ohren«, hatte er gesagt, als er sie versorgte, »weil ja, wie man überall erzählt, in unseren Wäldern unzählige Löwen und Drachen herumlaufen, die sie fressen wollen!« Er hatte gelacht und dabei Tristan einen Klaps auf die Schulter gegeben und ihn dann zum Holzholen geschickt.
Tristan stolperte über etwas, das im Laub lag. Von überall her kam ein einziges Getöse, und nun glaubte er, ein Knacksen und Huschen zu hören, ein Schaben und Winseln, das von den Waldgeistern herstammen musste. Sie warnten ihn. Er hörte dünn und zischelnd seinen Namen rufen und: Er solle nicht weitergehen! Aber er musste doch Courvenal suchen! Mit weit aufgerissenen Augen tastete er sich in der Dunkelheit voran. Äste, die er von sich wegbog, schlugen plötzlich zurück und fuhren ihm wie dünne Peitschen übers Gesicht. Plötzlich hörte er vor sich ein gewaltiges Knacken. Überlaut war etwas geschehen, das er schon einmal vernommen hatte. Mit offenem Mund stand er da und starrte in die Dunkelheit. Er erinnerte sich: Es war wie das Geräusch, wenn Linnehard, der Wachhauptmann, ihm und seinen Brüdern vorgemacht hatte, wie er jeden einzelnen Finger aus den Gelenken der Hand mit einem schnalzenden, brechenden Geräusch ziehen konnte. Genauso wie Tristan es eben gehört hatte, nur viel viel lauter! Da stand für den Jungen fest, dass es von nichts anderem herstammte als einem ungeheuer großen Geschöpf, einem Drachen, der sich direkt vor ihm hinter der Blätterwand befinden musste, in die seine Hände gegriffen hatten, um sie zu teilen. Ein Schwert!, fuhr es ihm durch den Kopf, ein Schwert oder wenigstens einen Dolch müsste ich jetzt bei mir haben! Dieser Gedankenblitz gab ihm von da an so viel Selbstsicherheit, dass er sich in dem beruhigenden Gefühl wiegte, tatsächlich eine Waffe zu besitzen. Er machte ein paar Schritte vorwärts, dem vermeintlichen Ungeheuer entgegen, und schrie dabei mit verzweifeltem Mutwillen, als vor seinen Augen ein Feuerschein aufloderte. Funken sprühten, ein unnatürlicher Schrei gellte durch die Luft, und Tristan wusste sich nicht anders zu helfen, als gegen das Untier mit all seiner Kraft anzustürmen. Die Zunge wollte er ihm mit den bloßen Händen aus dem Maul reißen, so lief er gegen das Feuer an. Er erhielt einen Stoß vor den Kopf, wusste für Augenblicke nicht, wie ihm geschah, fühlte sich an den Schultern gepackt und geschüttelt, verlor kurz das Bewusstsein und wachte daraus wieder auf. Tristan sah in Courvenals Gesicht.
»Der Drache«, murmelte er.
»Beruhige dich, mein Junge!«
»Wo ist Tristan? Was ist mit Tristan geschehen?«
»Nichts, gar nichts ist geschehen. Die Dunkelheit und das Feuer haben dich erschreckt, ein Windstoß ist in die Glut gefahren und hat Funken sprühen lassen, mehr war nicht. Tristan, das bist du selbst. Beruhige dich! Siehst du: Jetzt brennt das Feuer wieder mit ruhiger Flamme, da hängt meine Kutte zum Trocknen auf dem Gestell, das ich gebaut habe, und hier ist unser Zelt, unter dessen Dach wir schlafen werden. Ich habe uns sogar eine Suppe gemacht, die dir schmecken wird. Hier gibt es keine Drachen, hier gibt es nur Wildschweine, Rotwild und Vögel, die längst ihren Kopf unter die Flügel gesteckt haben. Iss, mein Junge, und dann leg dich schlafen! Morgen haben wir einen langen Tag vor uns.«
Honigmet und ~94~ Saboon
In diesem Abend sprach Tristan nicht mehr viel. Er war kleinlaut geworden, um nicht zugeben zu müssen, dass er ein einfaches Feuer für die glühende Schwelpest aus dem Maul eines riesigen Drachen gehalten und einen Augenblick lang nicht mehr gewusst hatte, wer er war. Auch von der Angst, die ihn befallen hatte, wollte er nicht reden. Die Suppe tat ihm gut und wärmte ihn, und er schlief schnell ein.
Am nächsten Morgen wurde er von Courvenal geweckt. Während er Brot aß und gesalzenes Fleisch, baute Courvenal das Lager ab, verstaute die Decken in den Säcken und belud die Pferde, die er von ihrem Platz geholt hatte und die frische Blätter von den Büschen rupften. Die Luft war feucht, und Tristans Kleider waren klamm. Die Sonne musste schon aufgegangen sein, denn es war taghell, aber noch nirgends war in den hohen Baumkronen ein Strahl zu sehen, der Wärme verhieß. Tristan trank von dem verdünnten Honigsud, von dem Courvenal mehrere Krüge mitgenommen
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