Tristan
hatte, und wischte sich den Mund. »Wohin reiten wir heute?«, fragte er und stand auf.
»Das wirst du noch früh genug erfahren«, sagte Courvenal. »Jetzt wirst du dich erst einmal waschen.«
»Hab ich doch schon«, sagte Tristan, der sich wie zu Hause ein wenig Wasser in eine Hand gegossen und damit sein Gesicht benetzt hatte.
»Richtig waschen, meine ich«, sagte Courvenal. »Da drüben an den Baum habe ich dir eine hölzerne Schüssel hingestellt, und daneben liegt etwas, das ich aus Spanien mitgebracht habe. Es heißt saboon und kommt von noch viel weiter her. Aus Syrien. Dort mischt man Olivenöl mit … - weißt du, was Oliven sind? Du wirst Oliven kennenlernen auf unserer Reise. Es sind kleine feste Trauben, die auf Bäumen wachsen. Und daraus kann man saboon machen. Damit reibst du deine nassen Hände ein, und mit den eingeriebenen Händen reinigst du dein Gesicht, deine Arme und Beine, dein Gesäß und dein Geschlecht. Hast du mich verstanden? Du riechst nämlich, mein Kleiner. Und mit einem stinkenden Knaben an meiner Seite kann ich nicht in die Welt hineinreiten, die ich dir zeigen möchte. Diese Welt ist zwar auch nicht die sauberste, wie du sehen wirst, aber wir beide könnten vielleicht einen Anfang machen, sie zu verbessern. Los also, geh und wasch dich!«
Tristan wunderte sich. In dieser Art hatte Courvenal sonst nicht mit ihm gesprochen. Und dass er stinken sollte, verwunderte ihn. Alter Fisch stank. Orties tote Mutter hatte gestunken. Vielleicht war ja noch immer dieser Geruch an seinem Körper. Auf Conoêl hatte er sich die Hände, Knie und Füße manchmal mit Bimsstein abschrubben müssen, sonst aber genügte Wasser zum Waschen. Rual hatte manchmal Wasser aus dem Meer holen lassen und sich damit übergossen, besonders dann, wenn er verwundet war. Von saboon hatte Tristan noch nie etwas gehört.
An dem Baum, auf den Courvenal gewiesen hatte, fand er tatsächlich eine Schüssel mit Wasser, und daneben lag in einem Holzkästchen ein handgroßer Würfel aus einer festen Masse, so braun wie Bienenwaben. Tristan hob den wächsernen Würfel auf und hielt ihn sich an die Nase. Er roch nach süßen, milden Kräutern. Wie Courvenal es ihm gesagt hatte, tunkte er seine Hände in die Schüssel mit Wasser und rieb den Würfel in seinen Händen wie einen Stein, den er vom Sand befreien wollte. Ein wunderbares Gefühl durchströmte ihn dabei, weil er spürte, wie das feste Material an den Oberflächen zu schmelzen begann und in den Händen immer weicher wurde, wie sich Schaum und kleine Blasen bildeten und das Wasser sich wie ein Ölfilm auf seine Haut legte. Tristan musste leise vor sich hin lachen, als er den Würfel wieder in das Kästchen zurücklegte und sich mit den schmierigen Händen über sein Gesicht fuhr. Die saboon biss ihn in den Augenwinkeln, seine Wangen und seine Stirn wurden ganz weich, und es war ihm angenehm, dieses wässrige Öl über seinen ganzen Körper zu verteilen.
Sobald das Wasser sich verflüchtigte, wollte er auch den in sich zusammenfallenden Schaum wieder loswerden, nahm die hölzerne Schüssel und schüttete sich das restliche Wasser über den Körper. Dabei schlug etwas Schweres auf seine Schulter, prallte gegen das vorgestreckte rechte Knie und plumpste zu Boden. Er fragte sich, wie ein Stein in seine Schüssel hatte geraten können, bückte sich danach, konnte jedoch auf dem Boden zwischen Blättern und Moos nur etwas Helles entdecken. Also nahm er dieses Helle in die Hand - und wusste, was es war. Riwalins goldene Kugel. Er hielt sie in der Hand, aber es gelang ihm nicht, seine Gedanken zu ordnen und die Kugel festzuhalten. Obwohl dies doch gar nicht möglich sein konnte, rollte sie ihm wieder aus der geschlossenen Hand und fiel ins Moos. Er musste träumen. Wie in dem Traum, den er erst am vergangenen Nachmittag gehabt hatte, wandte er sich halb um und suchte neben sich die Truhe, in die er die Kugel zurücklegen könnte. Er konnte sie nicht finden, rieb sich mit der freien Hand die Augen, um besser zu sehen, und starrte plötzlich auf Courvenals Schuhe, die unter dessen Kutte hervorschauten. Courvenal stand genau an der Stelle, wo die Kugel hingefallen war. Tristan blickte an ihm hinauf, ihre Blicke begegneten sich, hielten einander fest, und Tristan fragte leise: »Wo bin ich?«
Beutel ~95~ Waffe
Courvenal hatte Tristan genau beobachtet und glaubte nun zu wissen, welche Kräfte die Kugel ausstrahlte: Sie verwirrte das Denken. Anscheinend war nur Tristan
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