Tristan
als noch junger Mensch davon betroffen, denn auf Courvenal, der die Kugel die ganze Zeit bei sich getragen hatte, hatte sie keine Wirkung. Tristan reagierte darauf, als hätte er die Orientierung verloren. Deshalb hatte Courvenal schnell einen Schritt nach vorn getan, um die Kugel unter seiner Kutte zu verstecken.
Rual hatte unbedingt darauf bestanden, dass sie dieses Kleinod auf der Reise begleiten sollte. »Es ist ein Heils- und Glücksbringer«, hatte er zu Courvenal gesagt, »und außerdem wird er sich dadurch immer und überall an mich und Floräte erinnern.« Courvenal hatte Rual hoch und heilig versprechen müssen, dass er auf diese Kugel genauso achtgeben würde wie auf Tristan selbst, obwohl er sich in seinem Innersten weigerte, den Wert von Gold und Leben gleichzusetzen. Zu Rual sagte er allerdings nichts dergleichen. Er gab nur zu bedenken, dass Gold die Menschen zum Diebstahl verleite und auch schon mancher deswegen sein Leben hatte lassen müssen. Davon wiederum wollte Rual nichts wissen. Bei dieser Kugel sei es anders, sagte er. »Riwalins goldene Kugel ist wie ein zweites Leben, glaub mir!«
»Und wo soll der Junge sie auf der langen Reise verstauen?«, wollte Courvenal wissen. »Er kann sie doch nicht einfach wie einen Schmuck oder wie Schild und Schwert mit sich herumtragen?«
»Sie ist mehr als Schmuck, Schild oder Schwert!« Rual gab Courvenal einen aus verschiedenen Lederstreifen kunstvoll geflochtenen Beutel. »Da passt sie genau hinein«, sagte er. »Diesen Beutel soll Tristan, wenn er älter als zwölf ist, immer am Leib tragen.«
»Dann wird ja alles noch gefährlicher!«, protestierte Courvenal. »Jeder wird ahnen, dass dieses außergewöhnliche Ledersäckchen etwas Besonderes enthält, edle Steine, Dukaten, goldene Münzen!«
»Vertrau mir«, sagte daraufhin Rual. »Das Gegenteil davon wird geschehen. Jeder wird Furcht haben vor diesem Beutel, weil jeder glauben wird, darin stecke ein spitzer Dolch und Tristan sei ein junger Mann, der gut damit umgehen kann. Der Schein wird ihn beschützen, nicht die Wahrheit.«
Nach diesem Wortwechsel hatte sich Rual abgewendet. Courvenal war erschrocken. Denn er hatte, wissend, dass er im Sommer mit dem jungen Tristan auf eine lange Reise gehen würde, den Schmied beauftragt, einen Dolch herzustellen mit einem schönen Griff aus Horn und mit eingelegtem Silber. Das Werkzeug sollte ein Zeichen sein für das Abenteuer, auf das sich der Junge einlassen würde, und Courvenal hatte auch schon über einen Schaft nachgedacht, der möglichst unauffällig an Tristans Leibbinde baumeln könnte, sodass nicht für jeden gleich erkennbar wäre, dass sich darin ein scharfes Messer befand. Aber dieser Schaft war bis zur überstürzten Abreise nicht fertig geworden, und nun übergab ihm Rual ein solches Etui mit einer goldenen Kugel darin. Eine goldene Kugel!
Courvenal hatte lachen müssen. Tristan brauchte auf seiner Reise keinen Gegenstand zum Spielen, er sollte ja erwachsen werden. Vielleicht würde er bald wie alle Pilger einen Beutel mit Würfeln besitzen, darunter auch ein paar, die nur Einser und Sechser auf ihren Seiten eingebrannt hatten. Das gehörte zum Leben. Aber eine goldene Kugel? Die hatte Courvenal gleich aus dem Beutel herausgenommen und stattdessen eines seiner Messer hineingesteckt. Ein guter Lehrer, dachte er dabei, ist mehr als ein guter Vater, solange der Vater dem Sohn ein Lehrer sein will. Die Kugel steckte er in die Tasche seiner Kutte. Sie schlug ihm, als sie von Conoêl fortritten, gegen den Schenkel.
Am Morgen legte er sie heimlich in die Waschschüssel des Jungen, um zu sehen, was mit ihr geschähe. Er beobachtete, wie die Kugel, leuchtend und schillernd, über den nackten Knabenkörper rollte, als wäre sie es, die mit dem Jungen spielen wollte. Tristan nahm sie auf, und sie entglitt ihm wieder. Da war Courvenal schnell hinzugetreten, hatte das Spielzeug mit seiner bodenlangen Kutte überdeckt und dem überraschten Jungen den Beutel entgegengestreckt, in den er den Dolch hineingetan hatte.
Tristan nahm den Beutel, zog das Messer daraus hervor und war wie verwandelt. Er freute sich, wie nur ein Kind sich freuen kann, tanzte nackt, wie er war, herum und hielt den Dolch ans Licht, damit seine blanke Klinge es widerspiegeln konnte. »Danke, Courvenal, danke!«, rief er immer wieder und rannte zu seinem Pferd. Dass er noch kurz zuvor nicht einmal mehr gewusst hatte, wo er sich befand, schien plötzlich vergessen. Mit nassen Gliedern
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