Triumph des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
den Champagner zu mischen.
Aber zunächst war es notwendig, eine Mütze voll Schlaf zu bekommen. Die vergangenen Nächte waren aufreibend gewesen, und Papa fing schon wieder an, an ihm herumzunörgeln, dass er schlecht aussah, und wollte, dass er die Fahrt langsamer anging. Was für ein Blödsinn. Jetzt, vor den Toren Berlins, würde er nicht aufgeben. Auf gar keinen Fall.
Aber er brauchte seine ganze Kraft, um endlich zum Sieg zu fahren, deshalb überließ er sein Fahrzeug seinem Beifahrer, ignorierte das Getue der Fahrer und der Rennleitung und suchte das Hotel auf. In den frühen Morgenstunden würde er sich wieder in den parc fermé einschleichen und tun, was getan werden musste.
Vielleicht würde er ja am nächsten Tag einmal Zeuge eines aufsehenerregenden Unfalls werden.
57. HILFE AUS DER FERNE
Und wenn der Pfad sich furchtbar engt,
und Missgeschick uns plagt und drängt,
so reicht die Freundschaft schwesterlich
dem Redlichen die Hand.
Johann Martin Usteri
I ch hatte meiner Schwester in den vergangenen Jahren regelmäßig geschrieben, hatte von meinem Leben in Berlin berichtet, meinen Anfängen in der Redaktion des Bunten Blatts und zuletzt natürlich auch von der Rallye. Besucht hatte ich sie nicht, und auch sie war meiner Einladung nach Berlin nicht gefolgt. Trotzdem standen wir uns noch immer nahe, und sie hielt mich über die Vorgänge im Hotel auf dem Laufenden. Sie war die fürsorgliche ältere Schwester gewesen, weniger leichtlebig als ich, und hatte recht früh verantwortungsvolle Aufgaben im Gastgewerbe übernommen. Ihr Mann – sie hatte ihn im Vorkriegssommer geheiratet – stammte ebenfalls aus einer Hoteliersfamilie, und so war es ein Glück, dass sie beide nach dem Tod meiner Eltern das Geschäft weiterführen konnten. Nicht ohne Hindernisse und Probleme, das hatte ich aus ihren Briefen auch gelesen. Erst die Besatzungstruppen im Rheinland, die sich bei ihnen einquartiert hatten, dann die furchtbare Inflation, die so vielen die Luft zum Leben genommen hatte. Sie konnten dennoch das Hotel halten, und seit zwei Jahren ging es langsam wieder aufwärts. Godesberg war als Kurbad anerkannt und durfte sich mit dem Titel Bad Godesberg schmücken. Viele Leidende suchten Heilung in den Wasseranwendungen, doch vor allem lockte das Rheintal die Reisenden wieder. Es war auch eine wundervolle Gegend. Wenn man über den Strom schaute, erhoben sich die sieben Berge auf der anderen Seite, konnte man an klaren Tagen die Burgruine auf dem Drachenfels sehen. Wanderte man den Rhein südwärts, gelangte man an den romantischen Rolandsbogen, überquerte man den Fluss, stiegen die ersten Weinberge auf. Im Winter verwandelte sich das Siebengebirge in ein weißes Zauberland, im Frühling lagen Blütenschleier über dem lichten Grün. Im Sommer lockten Gartenlokale unter dicht belaubten Buchen zur Einkehr, und im Herbst setzte das rote und goldene Laub die Hügel in Flammen. Rheinromantik war kein leeres Wort, und die Gäste wussten es zu schätzen, in freundlich familiärer Umgebung verwöhnt zu werden.
Ich sollte wirklich zurückkehren. So schlimm war die Vorstellung eigentlich gar nicht. Die Zeiten waren noch immer unsicher, natürlich. Die Wunden, die der Krieg uns allen geschlagen hatte, schmerzten noch, und manche würden nie verheilen. Aber der bunte Herbst der Wälder fehlte mir auf einmal.
Ob Will manchmal an seine Zeit bei uns zurückdachte? Er war zwar ein Angestellter unseres Hauses gewesen, aber genau wie Hans und die Köchin lebte er bei uns und gehörte zur Familie.
Ja, wir waren seine Familie, eine eigene hatte er nicht. War das der Grund, warum es ihm so schwergefallen war, während des Krieges zu uns zu kommen? Weil er aufgeben musste, was er liebte, und jedes Wiedersehen nur noch mehr schmerzte?
Wir hatten sein Zimmer nie ausgeräumt, er hätte jederzeit wieder einziehen können. Bis dann eines Tages die Meldung kam, dass er gefallen sei. Meine Eltern hatten den Brief erhalten, sie waren die einzige Adresse, die Will Marten hatte.
Was war mit seinen Sachen passiert? Seine Bücher, Kleider, persönlichen Unterlagen? Er hatte seine Geburtsurkunde sicher nicht mit ins Feld genommen. Sein Wehrpass und sein Soldbuch waren bei seiner Einheit geblieben, aber die zivilen Papiere hatten vermutlich irgendwo in seinem Zimmer gelegen. Wahrscheinlich hatte man sie inzwischen weggeworfen. Oder? Ich hatte es nicht getan, eine winzige Chance bestand noch, dass sie irgendwo in Kisten oder Kästen
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