Trix Solier - Odysee im Orient - Lukianenko, S: Trix Solier - Odysee im Orient - xx
höher aufsteigen, aber damit würden wir die Geheimhaltung gefährden. Die Geschwindigkeit des Fluges übertrifft die eines Rennpferds um das Fünffache. Voraussichtlich werden wir unser Ziel in drei Stunden erreichen. Während des Flugs werde ich einige alte Drachenballaden zum Vortrag bringen. Ein Zwischenhalt ist nicht vorgesehen.«
Trix schloss die Augen, denn ihm schien der beste Zeitvertreib der, ein wenig zu schlafen.
2. Kapitel
Die wenigen Glückspilze unter den Menschen, denen es bereits vergönnt war zu fliegen, teilen sich in zwei Gruppen.
Die Vertreter der ersten genießen den Flug und können die Augen gar nicht weit genug aufreißen. Ob nun ein ausgewachsener und mit Küken gemästeter Kampfgreif einen Ritter trägt, ob ein eitler junger Zauberer auf einem magischen Flugbesen mit ebenso verantwortungslosen Altersgenossen hoch in den Lüften tollt oder ein mit stinkendem Dampf gefüllter Ballon aus Fischdärmen einen Alchimisten über die Erde trägt, auf den Gesichtern dieser Menschen liegt ein gelassener und freudiger Ausdruck, ihre Hände sind nicht mit Schweiß bedeckt, durch ihren Kopf ziehen keine schreckenerregenden Bilder, wie sie aus großer Höhe abstürzen.
Die Angehörigen der zweiten Gruppe fangen allein bei dem Gedanken an einen Flug an zu zittern. Zwingt das Schicksal sie zur Fortbewegung durch die Luft, suchen selbst den kühnsten Ritter oder den wagemutigsten Magier lange vor dem Abheben von der Erde Alpträume heim. Ihre Freunde und Verwandten kriegen ausführliche und öde Schilderungen über ihre Ängste zu hören und im entscheidenden Moment halten sie sich an starkem Wein schadlos. Kaum aber ist die Landung vollbracht, fangen diese Leidgeprüften an, laut und völlig unangemessen zu applaudieren. Außerdem versuchen sie, dem Drachen, der sie durch die Luft getragen hat, einen Kuss auf die schuppige Nase zu drücken, und legen ganz allgemein eine untypische Fröhlichkeit an den Tag.
Trix dagegen gehörte zu einer dritten Gruppe, einer verschwindend kleinen Minderheit. Vielleicht war das eine Folge von dem langen Flug mit Ilin Badulla Mummrich, vielleicht aber auch eine besondere Eigenschaft von Trix’ Charakter, doch durch die Lüfte dahinzugleiten wühlte den Jüngling nicht mehr auf als eine Reise in einer Kutsche oder eine Seefahrt. Mit halbem Ohr lauschte er dem kaum donnernden, ja, fast melodischen Gesang des Drachen und döste vor sich hin.
Die Drachenballaden kreisten beinah um die gleichen Geschehnisse wie die Ritterballaden, die Trix kannte. Der Drache sang von einem riesigen Königreich, in dem kühne Ritter lebten, von einer schönen Königstochter, die ein feuerspeiender Drache aus ihren Gemächern entführt hatte, von starken Helden, die die Prinzessin retten sollten …
Allerdings hegte Trix den vagen Verdacht, das Ende der Drachenlieder würde sich ein wenig von dem üblichen Schluss Und vom Boden das Drachenhaupt blickt tot und bang, der kühne Ritter kurz um Atem rang. Dann die Prinzessin er führte zum Traualtar, womit die Geschichte zu Ende war unterscheiden. Zu Trix’ Schande sei jedoch gesagt, dass er dieses Ende nicht mehr hörte, weil er bereits fest eingeschlafen war. Als er wieder aufwachte, schmetterte der Drache gerade ein witziges Couplet, ebenfalls zum einschlägigen Thema:
Die Alchimie hat festgestellt,
Festgestellt, festgestellt,
Dass ’n Drachenkämpfer Blech enthält,
Blech enthält.
Drum essen wir auf jeder Reise,
Jeder Reise, jeder Reise
Drachenkämpfer dutzendweise,
Dutzendweise.
Drachenkämpfer, Drachenkämpfer, Drachenkämpfer,
Die essen wir alle so gern.
»Wie gemein!«, rief Ian, der bemerkt hatte, dass Trix aufgewacht war. »Wenn ich jetzt ein Schwert hätte!«
»Er ist aber unser Verbündeter«, entgegnete Trix.
»Mir doch egal! Hast du gehört, wie der uns Ritter verhöhnt hat?!«
»Als ob Ritter nie über Drachen spotten«, sagte Trix. »Streiten wir uns also lieber nicht.«
Ian schnaufte, gab aber Ruhe.
Inzwischen schlugen die Flügel seltener, der Wagen sank, worauf den Reisenden der Magen in die eine Kehle zu hüpfen drohte, das Herz in die andere (die in den Knien).
»Wir landen!«, tönte der Drache.
Es rumpelte. Und noch einmal. Einer der Schauspieler klapperte mit den Zähnen, eine Flasche fiel zu Boden und zerbarst klirrend. Ernek und Bertek, die immer noch am Fenster hingen, kreischten auf.
»Unser Flug endet hier«, verkündete der Drache. »Ich wünsche allen eine angenehme Weiterreise. Es wird
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