Trix Solier - Odysee im Orient - Lukianenko, S: Trix Solier - Odysee im Orient - xx
rasch unsere Sachen und …«
»Oh wortkarger und geheimnisumwobener Gast, bis Mitternacht bleibt noch viel Zeit!«, unterbrach ihn Wasab. »Da werde ich sogar noch ein Abschiedsmahl zu Euren Ehren zaubern können!«
»Aber woher wisst Ihr, dass wir um Mitternacht …?«
»Alle geheimnisvollen Unternehmungen beginnen in Samarschan um Mitternacht. Das ist Tradition!«, erläuterte Wasab. »Uns bleibt also genug Zeit. Frau! Deck den Tisch! Söhne! Grabt die guten Teller wieder aus! Töchter! Bringt den Soldaten an der Pforte frisches, kaltes Wasser und erkundigt euch auf taktvolle Weise, ob sie Söhne im heiratsfähigen Alter haben!«
»Aber Papa!«, brummte die ältere der beiden. »Das sind selbst noch die reinsten Kinder!«
»Halb so wild! Mit einer solchen Frage schürst du ihre Eigenliebe, bekommst heraus, ob sie selbst bereits verheiratet sind, und machst deine Absichten mehr als deutlich.«
»Ich habe aber keine Absichten«, sagte die ältere Tochter und lächelte Trix an. »Zumindest nicht, was die betrifft.«
»Hör auf deinen Vater und du bist eine gemachte Frau!«, brüllte Wasab. »So hat es schon ein Weiser in der Vergangenheit formuliert!«
»Eine gemachte Frau?«, griff Trix die Formulierung auf. »Was ist sie denn jetzt? Ungemacht?«
Darauf erwiderte Wasab nichts, sondern stand auf, um höchstpersönlich einen Krug zu holen und seinen Gästen die Hände zu waschen. Annette schwirrte dicht vors Gesicht der beiden Jungen und musterte sie.
»Annette, du malst dir nicht aus, was wir alles erlebt haben!«, sagte Trix. »Wenn du doch bloß dabei gewesen wärst! Und wie dringend wir deine Hilfe gebraucht hätten!«
»Ach ja?«, nahm ihn die Fee ins Verhör. »Ihr hättet also meine Hilfe gebraucht?«
Trix und Ian nickten heftig.
»Ihr Männer seid doch alle gleich!«, murmelte die Fee, wenn auch schon nicht mehr ganz so streng. »Gut. Erzähl mir alles, solange Wasab den Krug holt.«
Überflüssig zu sagen, dass Trix kaum Appetit verspürte. Ian aß jedoch für zwei und bei diesem Anblick meldete sich auch bei Trix der Hunger zurück. Diesmal wurden aufgetischt: eine Suppe mit großen Gemüse- und Hammelstücken; gebratener Fisch, der mit Zwiebeln und aromatischen Gräsern gespickt war; Tomaten und Paprika, die mit fein gehacktem Fleisch gefüllt und im Ofen gebacken waren; und natürlich das Pilaw, nur dass es diesmal mit Früchten, also süß, zubereitet war. Kurz und gut, ein nach Samarschaner Maßstäben recht bescheidenes Mahl.
»Ich würde mich nie erdreisten, oh hochverehrter Gast, dich zu fragen, wohin dein Weg dich führt und was du zu tun beabsichtigst«, versicherte Wasab, sobald er sich nach dem Essen eine Wasserpfeife angezündet hatte. »Es wäre indes unhöflich, einen Gast ziehen zu lassen, ohne ihm einige nützliche Ratschläge mitzugeben. Deshalb werde ich das Buch der Erhabenen Eingebungen befragen.«
»Was ist das für ein Buch?«, wollte Trix wissen.
»Im Laufe der Jahrhunderte haben die Samarschaner Mystiker die besten ihrer Gedanken in ihm festgehalten. Niemand weiß heute noch, wer wann wo und zu welchem Anlass welchen Gedanken gehabt hat, aber sie sind immer erstaunlich hilfreich, wenn jemand des Rates bedarf. Gulin!«
Die Frau entfernte sich, um kurz darauf mit einem dicken Band zurückzukehren, der in der verschnörkelten Samarschanischen Schrift abgefasst war. Bevor Wasab es an sich nahm, wusch er sich die Hände und trocknete sie ab, denn ein solch großes Buch stellte an sich eine beachtliche Kostbarkeit dar, ganz unabhängig vom Inhalt.
»Vertrauen wir auf die Weisheit unserer Ahnen!«, rief Wasab und schlug das Buch an einer beliebigen Seite auf. Er tippte mit dem Finger auf eine Zeile, um sogleich feierlich zu deklamieren: » Liegt ein beschwerlicher Weg vor dir und gehst du davon aus, nicht in die Heimat zurückzukehren, nimm von deinen Freunden alles mit, was dir nützen könnte! Aber nimm doppelt so viel von dem, was dir nützen könnte, von deinen Feinden mit! «
»Das … ist ein guter Rat«, sagte Trix begeistert, dem das Bündnis mit Gavar immer noch Kummer bereitete. »Denn es bedeutet, dass man unterwegs nicht nur von Freunden, sondern auch von seinen Feinden Hilfe annehmen darf.«
»Mir kommt es eher so vor«, bemerkte Ian, »dass es um etwas ganz anderes geht. Wenn du für immer abhaust, dann sollst du dir von deinen Freunden Geld leihen, denn du brauchst es ihnen ja nicht wiederzugeben. Aber von deinen Feinden sollst du dir erst recht Geld und
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