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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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unerschlossenen und vielleicht tödlichen Botschaft zu König Priamos gebracht werden wollte, zerbrach er sich eine Weile den Kopf über Verkleidungen; schließlich wählte er das wallende Gewand eines Hökerers aus dem Masa-Land (schäbiger grauer Wollstoff, über dem kitun zu tragen, mit Bändern verschlossen, unterschenkellang), eine graue Schärpe, um den Kopf zu wickeln, so daß ein Zipfel übers Gesicht hing, und eine Reihe von Handgriffen, die ihn Überwindung kosteten: Er beschloß, den nur hier und da mattgrau angekränkelten schwarzen Bart zu entfernen. Von einem Schleifer ließ er eines der Messer aus gehärtetem Eisen schärfen, bis der Mann sagte, die Klinge sei nun so fein, daß man damit einen vorüberhuschenden Hintergedanken derart anspitzen könnte, daß der feine Verstand des Ränkeschmieds, der ihn gehegt, sich nicht einmal werde erinnern können, ihn je gedacht zu haben. Voll zwiefachen Staunens (über die Schärfe der Klinge und des bildhaften Vergleichs) trug Ninurta das Messer heim. Dort fand Tashmetu, daß ihr der Vollzug der großen Handlung zustehe; sie rieb ihm Öl, heißes Wasser und schäumende Duftsalben in den Bart und schabte dann die Wangen, ohne die Haut zu verletzen.
    Dann kicherte sie und sprach von der lustvollen Neugier darauf, die Berührungen von zweierlei Haarlosigkeit zu erproben. Sie hatte nie etwas von der Gepflogenheit edler Ugariterinnen gehalten, ihre Körperhaare auszurupfen oder abzuflämmen. Auf Ninurtas Bitte hin ließ sie die Achselhöhlen ungeschoren, machte sich aber mit neu erhitztem Wasser, Öl, Salbe und dem scharfen Messer über das her, was sie »Lendenbart« und »Gestrüpp um. Ishtars Tempel« nannte. Ninurta bot Hilfe an, was sie ablehnte; besorgt und begeistert sah er zu und erzählte dabei von den vielerlei Bezeichnungen, die Ashurs geschmeidige Sprache für dies feine Vlies besaß (Hain der Wonne, Brunnenflechten, Moos der Großen Quelle, Gazellen- Äsung, Feuerstoppeln, Garten des Ergießens, Flackerflaum), von den weniger freundlichen Namen und davon abgeleiteten Tätigkeitswörtern, die er schon als Junge in der Nähe bestimmter Tempel und Häuser aus dem Munde jener Frauen gehört hatte, die ihr Leben durch emsigen Einsatz unter anderem dieser Gefilde verdienten und für die es ebenfalls zahllose Namen gab: die Geweihte, qadishtu ; die Verfügbare, kulmashitu ; die überall Kraushaarige, kezertu ; die Götterdirne, naditu ; sie alle nish’libbim hingegeben, der »Erhebung des Leibes«. Er erzählte krause Geschichten, die er damals und später von ihnen und über sie gehört hatte, und Tashmetu schor langsam und lauschte und lachte immer heftiger, bis sie schließlich sagte, er solle aufhören, da die alsbald nicht mehr überall Kraushaarige sich sonst zweifellos schneiden müsse.
    Am folgenden Morgen brach er früh auf; Korinnos und Tsanghar begleiteten ihn. Mit dem Kahn überquerten sie den Simois; die Wachen am Südufer hatten sie die Neustadt verlassen sehen und stellten keine Fragen.
    Die Luft war voll von einem seltsamen Geräuschgemenge; es war das Scharren, Knarren und Schleifen all der Boote und Flußschiffe, die Bord an Bord lagen und sich dazu am aufgemauerten Kai rieben. Ansonsten war es zunächst fast unheimlich still; schweigende Wachen standen mit blanken Waffen vor den Lagerhäusern am Kai. Vermutlich hüteten sie jene Vorräte, die Rat und Fürst der Stadt gegen eine lange Belagerung angelegt hatten.
    Jenseits der hohen Gebäude endete die schwere Stille, aber insgesamt wirkte das Hafenviertel seltsam belebt und leblos zugleich. Viele Läden und Werkstätten waren voller Menschen und doch wie tot; Ninurta mußte mehrmals hinschauen, um eine Erklärung für diesen Eindruck zu finden. Er sah Backstuben, in denen gearbeitet wurde, und den Laden eines Webers, in dem sich nichts tat; er hörte Schmiede hämmern und sah das bewachte, aber öde Lager eines Tuchhändlers. Dann endlich begriff er, und als er die Menschen genauer betrachtete, fragte er sich, wieso er so lange dazu gebraucht hatte. Die gesamte flußnahe Unterstadt, von den übrigen Vierteln und dem Burgberg durch hohe, fugenlos glatte Quadermauern getrennt, diente vor allem der Unterbringung auswärtiger Kämpfer: Trojaner aus dem Hinterland, aus den Festungen an den Meerengen, Bundesgenossen, Söldner. Wer von den Bewohnern hatte bleiben wollen, war geblieben, vor allem jene, die wie der Bäcker und der Waffenschmied benötigt wurden (und vielleicht vom König den Befehl

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