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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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verbliebenen Männern zu zeigen, was sie damit tun sollten. Sie blieben drei Tage fort. Als sie zurückkamen, sagte der Kashkäer, wenn Ninurta und vor allem die edle Fürstin es wollten, könne man jetzt einen Fluchtversuch unternehmen, ohne Ruder und Segel; es sei aber nicht ratsam, da die See von achaischen Schiffen verseucht sei. Ferner habe er noch zwei Dinge erledigt: Was auch immer vom Schiff zu ihnen gebracht würde, wer auch immer käme, würde nach Tashmetu fragen, nicht nach Awil-Ninurta; und in der Ebene habe er Khanussu getroffen, mit einigen seiner Leute, und diesem aufgetragen, dafür zu sorgen, daß die üppigen Gaben des herrlichen Agamemnon, wenn sie denn je übergeben werden sollten, ebenfalls an Tashmetu gingen.
    Korinnos schien jäh zu wachsen, wirkte selbstsicherer, wie verwandelt. Manchmal verschwand er abends (»läufig, der Junge«, sagte Tsanghar; und »gut so!«); tagsüber saß er oft im Schatten des Innenhofs, beim Brunnen, und schrieb. Sie hatten Rollen aus Binsenmark gekauft, von einem Händler, der gute Beziehungen zu den Romet im Lande Tameri unterhielt; von diesem erfuhren sie auch, daß bei der Zerstörung Trojas durch Herakles alle alten Aufzeichnungen vernichtet worden waren – Tontafeln, zu Scherbchen und Bröseln zertrampelt, dem Stoff beigemischt, auf dem die Neustadt gebaut wurde und mit dem man die alten Häfen und Durchstiche zur Küste auffüllte und verschloß. Prijamadu hatte neue Archive anlegen lassen, Schatzkammern des Wissens, des Nichtwissens und der unzuverlässigen Zahlen (so der Händler), und zwar mit Tinte auf Binsenblättern – einfacher zu beschreiben, leichter aufzubewahren als Wachs oder Tontafeln, schneller zu verbrennen.
    Korinnos schrieb, wie er es von Palamedes gelernt hatte: mit Chanani-Zeichen zur Wiedergabe achaischer Laute. An lauen Abenden auf dem Dach las er manchmal vor, was er am Tag aufgezeichnet hatte – dürre Umrisse der Ereignisse, aber auch üppige Geschichten, randvoll mit Blut und Geistern und Helden und unmöglichen Taten. Tsanghar lachte besonders laut und sagte, es sei ein Jammer, daß nur wenige diese Wunderdinge hören oder lesen könnten. Man müßte Schreiber haben, Abschreiber, aber… Dann schwieg er und runzelte die Stirn.
    Am nächsten Tag machte er sich auf die Suche – wonach, das erfuhren sie erst später. Er trieb in einer kleinen Werkstatt am Flußhafen einen alten Stempelschneider auf, einen Mann, der vor Jahrzehnten aus Kolchis gekommen war. Nach zähem Feilschen (Ninurtas Silber ging noch nicht zur Neige) begann der Alte, winzige Stempel mit Chanani-Zeichen zu schneiden, zunächst aus Knochen, dann aus nicht allzu hartem Holz. Tsanghar fertigte einen Holzrahmen in den Maßen eines gewöhnlichen, von der Rolle abgeschnittenen Binsenblatts, setzte in gleichen Abständen dreißig feine dünne Latten ein, rührte Tinten und sorgte mit seinen Mischungen für Gestank im Haus. Nach etlichen Tagen behauptete er, die richtige Farbe und Zusammensetzung gefunden zu haben.
    Der Stempelschneider lieferte: einen Kasten mit je hundert Stempelchen jedes einzelnen Chanani-Zeichens. Tsanghar strahlte, nahm eine der wilderen Geschichten von Korinnos und eine feine Zange, die ihm ein Zahnausreißer verkauft hatte, und begann Stempelchen in seinen Rahmen zu stecken, band sie reihenweise mit einem Faden zusammen, bepinselte schließlich die Unterseiten der Stempel mit Tinte aus der flachen Tonschale und preßte es dann auf das abgeschnittene Blatt.
    »Schmierig«, knurrte er. »So nicht – aber so ähnlich.« Er zeigte Ninurta das Ergebnis: ein Binsenblatt voll gleichmäßiger Zeichen – mit etlichen Klecksen –, die gut zu lesen waren.
    »In der Zeit, die ich brauche, um den Rahmen zu füllen«, sagte er, »schafft ein Schreiber dreimal soviel; aber wenn der Rahmen voll ist, kann ich ihn hundertmal auf Markblätter drücken. Oder tausendmal. Korinnos’ Geschichten – oder Befehle des Königs, für tausend Unterführer – oder Gebete zu den Göttern, die nicht lesen können.«
    Ninurta klopfte ihm auf die Schulter. »Wenn wir wieder auf der Insel sind, werden wir alle deine Erfindungen und mein Silber zusammenrechnen und sehen, welcher Anteil jedem von uns zusteht. Wann kaufst du alle Eigner und Schiffe auf?«
    Nach fast einem Mond in der Neustadt, noch fast einen Mond vor der Sommersonnenwende wagte sich Ninurta erstmals in die »eigentliche« Stadt, um Leukippe zu suchen und sich umzuschauen. Da er nicht erkannt, nicht mit seiner

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