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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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mit Helenas Augen; im Streit erstochen in einer Hafenschänke ein Rome-Händler, und sein Geist hob klagend den zerbrochenen Trinkbecher; vermengt und verschwistert und unauflösbar die Geister (oder nur einer?) der Trojaner, die er an diesem Tag, ein Jahr her oder erst morgen, getötet hatte, die anderen, und die scharfe Wonne des eindringenden Schwerts, und wissen, daß Brüder – liebe Brüder, nie gesehen und vertraut und näher als jede Geliebte – neben und hinter ihm und ringsum sind und den Rücken schützen mit ihrem Leben, und die Schwingen des Adlers tief drinnen und das kochende Blut, die ganze Seele im Stoß und im Schrei und im Jubel. Jäh die Fratze des Wimmerns, das würgende Angst und Galle im Hals ist und die Beine hinabrinnt, der Geist des Winselmeers und der Jammerbuchten am Gestade des Kreischens.
    Er öffnete die Augen, als er eine belegte, heisere Stimme hörte. Sie waren in einem großen Bogen über das Schlachtfeld gewandert, gewatet, bis dorthin, wo trojanische Krieger durch den Nebel stapften (aber in der Nacht nach der Schlacht gibt es keine Gegner, nur Gleiche, nur Brüder), und zurück, weit zurück, noch weiter, weg vom Fluß, fast bis an die Wälle des achaischen Lagers. Vor ihnen stand ein Mann, nackt bis auf die durchtränkte besudelte Schärpe um den Bauch; in der Rechten hielt Menelaos ein Messer, den linken Arm fraß der abgetrennte Kopf eines Lamms: die Kiefer weit über dem Handgelenk, und aus dem Hals zuckten wie Schlangen die Finger des Königs von Sparta. Der Schädel war geöffnet; ein wenig Hirnmasse, im Bart wie ausgesiebt, wurde von der Zunge gejagt und erlegt und hineingeschafft ins Schlürfen und Schlucken des Munds, der nach Wein stank und nach Ekel. Die Augen – ›seltsam‹, dachte Ninurta, ›nachts solche Augen zu sehen‹ – saßen eng neben der Nasenwurzel; sie waren grell und erloschen jäh, als Menelaos sie zusammenkniff. Er rülpste und schwankte und wiederholte, was Ninurtas Augen geöffnet hatte. »Habt ihr Paris gesehen? Oder Helena?« Eine dicke Stimme, belegt und heiser von Mord und Gemetzel und Befehlen und heiligem Heulen. Eine besudelte Stimme, klebrig wie der Bart und die behaarte Brust, die Muskelwülste der Arme, der Verband, die nackten Beine und der mächtige, geschwollene, pochende Phallos. Die kleinen Augen glitzerten.
    »Nein, Herr, wir haben sie nicht gesehen«, sagte Khanussu.
    »Ah.« Menelaos hob den linken Arm, lutschte am offenen Schädel des Lamms, grunzte und sagte: »Mit der Bauch wunde könnte ich sowieso weder ihn noch sie…« Das Glitzern der Augen erlosch, der Phallos sank, Menelaos wandte sich zu den undeutlich auf Nebel treibenden Küstenhügeln. Jetzt schwebte er, die Füße unsichtbar, wurde dunkler, schien sich aufzulösen; noch einmal hörten sie die Stimme, die den Namen einer Frau, der einzigen Frau, vielleicht auch den aller Frauen in die Düsternis der Götter und Menschen brüllte: HELENA; es klang wie der Todesschrei eines geopferten Stiers.
    Weiter stromauf, am westlichen Ufer des Skamandros, verhandelten morgens Herolde von Agamemnon und Priamos: schwarze Punkte im aufgewühlten Grün, umgeben von blinkenden Speerspitzen der Geleittruppen. Waffenruhe für einen Tag, hieß es; beide Seiten sollten die Gefallenen bergen, verbrennen und bestatten können.
    »Besser so.« Khanussu rümpfte die Nase. »Nicht nur wegen der geziemenden Feierlichkeiten… Es ist heiß, und so, wie der Wind hier geht, kriegen die das auch in der Stadt zu riechen.«
    »Was tun wir?«
    Khanussu lachte und klopfte auf den Oberschenkel des Assyrers, der neben ihm saß, die Füße im Fluß. »Wir? Wir werden den Tag hier verbringen, in guter Ruh, und zwar mit was? Mit Recht!«
    Agamemnon war offenbar nicht dieser Ansicht. Ihm erschien es rechtens, die Dinge anders zu ordnen. Streiftrupps aller Einheiten des nach Städten und Stämmen gegliederten Achaier-Heers erhielten die Aufgabe, die eigenen Gefallenen zu bergen und die Namen zu verzeichnen – schwierig, da längst nicht jede Einheit über Schriftkundige verfügte. Die Söldner, die das Flußufer gehütet und nur einmal durchgebrochene trojanische Fußkämpfer zurückgeschlagen hatten, waren vielleicht die einzige Einheit ohne Verluste; deshalb (und weil der Fluß bei Waffenruhe nicht gehütet werden mußte) wurden sie ans westliche Ende des Lagers verlegt, um Gefangene zu bewachen und zu versorgen.
    »Es könnte ja sein, daß irgendwo zufriedene Heiterkeit ausbricht«, sagte einer der

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