Troja
Menelaos hielt den Helm in der Armbeuge und stolperte, als Gewicht und Widerstand plötzlich fehlten. Paris kam auf die Beine, sprang zum Schwert, das bei seinen Windungen aus der Scheide gerutscht war, packte es, drehte sich blitzschnell und stürmte mit vorgereckter Klinge auf den Spartaner los.
Zwei Pfeile. Der eine, wenn Ninurta sich nicht irrte, von einem der berittenen Skythen: ein schwarzer Strich des Todes, der (jähe Stille ringsum) mit dumpfem Schlag in Parisitis Panzer fuhr, über der rechten Brust. Der zweite Pfeil kam von Pandaros, drang in die Gürtelschnalle des Menelaos, blieb stecken. Beide Kämpfer taumelten.
Diomedes, auf seinem Wagen, reckte den Arm; in der Hand hielt er einen Speer. »Verrat!« brüllte er; die dicke Stimme raste wie eine Bö über den Kampfplatz. »Sie schänden die Götter! Tötet sie – alle!«
Die berittenen Skythen und etliche andere Bogenschützen in den achaischen Reihen handelten so schnell, daß Ninurta keinen Atemzug lang an Überraschung und blindes Befolgen von Diomedes’ Befehl glauben mochte. Und während die Pfeile in der Luft hingen, langsam, wie erstarrt, als ob die Augen des Assyrers einen gedehnten Ausschnitt der Vorgänge sähen, krochen auf der anderen Seite fünfmal so viele Pfeile von trojanischen und lykischen und phrygischen Sehnen, mühten sich hangaufwärts in die steile Luft.
Dann prasselte der Pfeilhagel nieder, schnell und tödlich, auf beiden Seiten. Odysseus stieß den Assyrer zu Boden und schrie:
»Warum bist du Trottel unbewaffnet?«
Ninurta blieb halb benommen liegen, sah vor sich einen Achaier zusammenbrechen und zuckend auf dem Boden sterben, kroch zu ihm hin, richtete alle Kraft seiner Gedanken auf die Finger, die den Gürtel und die Gurte des Panzers und das Schwert und den Speer – ah nein, der war unter dem fallenden Mann zerbrochen. Füße. Eine Myriade Füße, und er konnte den Kopf nicht heben um zu sehen, ob Beine darüber waren, vielleicht auch Körper. Knie rammten ihn, stießen ihn wieder in den Boden, Füße traten auf ihn, er hörte Geklirr und Geschrei, Wutgeheul, hier und da das Kreischen von Verwundeten, dann hatte er endlich das Schwert in der Hand und den Brustpanzer des Gefallenen, dem ein Pfeil in die Kehle gedrungen war. Hinter sich hörte er wieder Odysseus, der fast verwundert, fast wie in einem gelassenen, müßigen Traum sagte:
»Komm, laß mich dir helfen, Händler. Ich weiß zwar nicht, warum ich mir die Mühe mache…«
Und während Odysseus’ Finger die Gurte des Panzers zerrten und schnallten, erinnerte sich der Assyrer daran, daß er nichts mit diesem Krieg zu tun hatte. Daß er, wenn überhaupt, einen schnellen Sieg der Trojaner wünschte und einen Untergang der Achaier. Dann kam er auf die Beine, bemerkte, daß jemand – Odysseus? – ihm den Helm des Toten über den Kopf stülpte, sah einen Streitwagen der Trojaner näher kommen, sah ein paar Achaier sich ducken und nicht den Wagen, nicht den Lenker, nicht den Bogenschützen angreifen, sondern mit den Stichschwertern Pferdebäuche aufreißen. Und er schrie, als die heiße Woge in ihm aufstieg und zugleich über seinem Kopf zusammenschlug. Schrie vor Wonne und ohne Besinnung, als er sich mit seinen achaischen Waffenbrüdern gegen die Brandung trojanischer Speere und Schwerter stemmte.
Er erinnerte sich an den Pfeilhagel; und daran, daß Odysseus ihn niedergestoßen oder -gerissen hatte, damit er nicht getroffen wurde. An Füße stürmender Achaier, die über ihn trampelten, bis sie zurückgeworfen wurden – aber da war er schon auf den Beinen, mit den Waffen eines Gefallenen, und wie lang mochte es gedauert haben? Wie war er an die Waffen und den Panzer und den Helm gekommen?
Alles blieb wirrer Fiebertraum. Vielleicht hatten die Fürsten auf ihren Wagen eine Art Überblick; Ninurta wußte nur, daß alle Glieder schmerzten. Ihm war zum Erbrechen übel, und er hatte, wundersam, keine Wunde davongetragen. Stundenlang war der Kampf hin und her gegangen, Ebbe und Flut und Morast und Brecher und Schnappen nach Luft und sicherer Untergang. Der Untergang der Sonne beendete das Gemetzel. Vorerst.
Später erzählten sie von den großen Dingen, die sie gesehen und getan und gelitten hatten. Nestor, der seine Kämpfer aufgefordert habe, mit den Streitwagen die trojanischen Gefährte anzugreifen und den Speer nicht zu werfen, sondern zu stoßen – armer alter Nestor, auf den keiner gehört hatte. Es gab nur noch wenige Streitwagen bei den Achaiern, und
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