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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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der einen, den Speer in der anderen Hand.
    »Wozu die Waffen?«
    »Wenn wir schon wandern… Niemand wird uns überfallen, aber vielleicht waren die Erlöser noch nicht überall.«
    »Erlöser?« Dann begriff er und sagte: »Ja.«
    Sie gingen und redeten – bis Ninurta schwieg und nur noch der Shardanier sprach, leise, als ob er einen eben dahinrinnenden Traum erzählte, den jedes laute Wort zerbräche. Einmal verstummte Khanussu für einige Zeit, nachdem sie an einem Körper gehalten hatten, der sich schwach bewegte und stöhnte. Der Shardanier beugte sich zu dem Mann.
    »Die Hand oder das Schwert, Bruder?«
    Kaum hörbar, Echo eines fernen Windstoßes, kam die Antwort. »Das Schwert… und danke, Bruder.«
    Ninurta zwang sich, hinzusehen, bis das Zucken endete und Khanussu sich aufrichtete. Schweigend gingen sie weiter, wateten knöcheltief durch den Bodennebel, der nun die Ebene und die Körper bedeckte. Wie Dämonen gingen da und dort Männer ohne Füße, manche ohne Unterschenkel, bückten sich, hoben Gegenstände auf, zerrten schwere Beute – einen vergoldeten Panzer vielleicht, ein goldenes Schwertgehenk, einen kostbaren Gürtel – aus dem wabernden Nichts. Weiter weg, eher zu ahnen als zu sehen, gerieten zwei Schatzsucher in Streit; Klingen klirrten, und ein schwacher Klagelaut verriet, daß die Anzahl der Gefallenen sich vermehrt hatte.
    »Auch die Toten machen Kinder«, knurrte Khanussu. Dann sprach er von den Erlösern, die bei manchen Heeren durch das Los bestimmt wurden, bei anderen eine feste Truppe waren, meist aus jenen, die sich auch um die eigenen, noch heilbaren Verwundeten kümmerten; und er erzählte, leise, was andere von der Schlacht berichtet hatten. Ein Geisterwispern über dem Geisternebel unter dem Drachenmond, dachte Ninurta; er hörte von der Bauchwunde des Menelaos und von Agamemnons Reden an die einzelnen Kämpfergruppen, von der wahnsinnigen Hatz des Diomedes, der sich eingebildet haben mußte, gegen Götter zu kämpfen, zahllose Trojaner niedergestreckt hatte und in allen Ares zu besiegen wähnte; vom gewaltigen Hektar, der Entsetzen in die Reihen der Achaier trug; die Männer schrien nach ihrem Stärksten, Achilleus, aber der saß dumpf brütend und schmollend im Zelt, winselte gekränkt wegen einer Frau, während die anderen starben: im Krieg, der einer anderen Frau galt; vom Verschwinden des Paris, der unauffindbar blieb; von Menelaos, frisch verbunden, rasend vor Wut, wie er Paris suchte – und sah, wie Aias dem Thraker Akamas die bronzene Speerspitze in die Stirn stieß, wie Diomedes »Ares!« röhrte und Axylos niedermähte, wie Euryalos nacheinander Opheltios und Pedasos und dessen Zwillingsbruder Aisepos tötete und Odysseus den Pidytes und Antilochos den Abieros – und Menelaos suchte immer noch nach Paris, rasend und brüllend, und fand einen namens Adrestos, der dem Paris ähnlich sah, und der Spartaner hob den Speer, um ihn in den gestrauchelten Adrestos zu jagen, der um sein Leben bat und Reichtümer verhieß, und Menelaos ließ den Speer sinken, gerührt vom Flehen des Trojaners, aber dann kam Agamemnon und schrie: »So weich, Bruder? Wozu die Sorge um einen Feind? Ah, keiner von denen soll unseren Händen entkommen, nicht ein einziges Kind, das noch im Mutterleib wohnt, und keine Mutter, bis ganz Ilios ausgelöscht ist, nicht einmal Tränen, die Gräber zu netzen!« Und Agamemnon stieß den Speer in Adrestos’ Flanke, trat auf die keuchende Brust, riß die Waffe aus dem Fleisch. Nestor, im Blutbad verjüngt und klaren Geistes, befahl seinen Kämpfern, nicht jedem Gefallenen Waffen und Rüstung abzunehmen, sondern zu töten, töten, töten und das Sammeln und Sichten der Beute zu verschieben. Diomedes, aus einem Wahn erwacht, um einem anderen zu verfallen: Auf dem Schlachtfeld setzte er sich nieder mit dem Trojaner Glaukos, als Knabe einmal sein Gastfreund; sie erzählten einander von den Großvätern und tauschten schließlich die Rüstungen – die von Glaukos war aus Gold, hundert Ochsen wert, die des Diomedes aus Bronze im Wert von neun Rindern.
    Geisterwispern. Geister früherer Schlachten, an denen Khanussu teilgenommen hatte. Geister aus Beutezügen, und von Plünderungen, Geister aus Geschichten seiner Vorfahren. Zu diesen Geistern kamen andere, und wenn Ninurta die Augen schloß, sah er sie zwischen Nebel und Mond über das Feld wehen: die Fackel, die sein Vater war, die Mutter, gehäutet und gepfählt und gnädig von Wahnsinn verfinstert, die wilde Frau

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