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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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ihm, seinem Bruder, den Untergang verhinderte, wie Odysseus und Nestor und Aias. Wie sie alle, außer dem winselnden Feigling, der sein sieches, dürres Seelchen mit Wein und Weinen begoß. Agamemnon, Menelaos, Odysseus, Idomeneus, Patroklos… die großen Namen, aber welcher Sänger würde das Gefühl besingen, als Mann neben Männern zu stehen, zu kämpfen, zu bluten, zu stürzen, sich aufzuraffen und gleich, jetzt, bald, vorhin endgültig zu straucheln im Schwertertanz, den letzten Schritt zu tun im Männerreigen, umgeben von Brüdern, die einander Rücken und Gesicht und Schildarm waren, verstümmelt und winselnd und röchelnd und nach der Mutter schreiend das großartige Ende zu erreichen, zur Verhöhnung der Götter, jenes Ende, das kein Übergang war zu schrecklicher Wiederholung oder blödem Verdämmern, sondern der letzte Feind, der größte und schönste, wie sie in diesen Augenblicken alle wußten: das grinsende Nichts der Auflösung?
    Armer Sänger, der das Wunder beschreiben soll – nicht erwähnen, sondern darstellen, so daß der Zuhörer Teil wird: das Wunder des Abends, als den Trojanern die Arme sanken, schwer von all dem Morden, und als keiner mehr die Kraft hatte, über die Türme und Schanzen und Verhaue aus Leichen zu steigen, um weiterzutöten? Die Nacht, die stöhnende würgende Nacht? Den fahlen Morgen, als die Kämpfer, eingeholt vom weit übers Meer dröhnenden Lärm, der sich in Gerüchte verwandelte, von der langen Halbinsel zurückkehrten, und zu beiden Seiten des Walls aus Erde, Holz, Trümmern und Toten fanden sie Krieger vor – Achaier drinnen, Trojaner draußen –, die sich hingelegt hatten, wo die Erschöpfung sie überwältigte, und die nun über die Trennung, die sie verband, einander in die Augen starrten?
    Vielleicht. Vielleicht würde es einen Sänger geben. Aber ob man ihm auch von anderen Dingen berichten konnte, daß er Gesang daraus mache? Davon, wie Agamemnon, selbst kaum fähig zu stehen, blutverkrustet und bleich durch den Morgen wankte, um den Tapferen zu danken und die Verwundeten zu trösten und die Toten zu preisen; wie der König zu den Söldnern kam, vierundzwanzig Lebende von fünfzig, die vor Monden gekommen waren, und wie er, da er an alles dachte, dem langen Mann Khanussu Silber reichte, denn der vereinbarte Sold war an diesem Tag fällig; und wie Khanussu ihm das Silber zurückgab.
    »König – Bruder –, nach diesem Kampf soll ich Silber nehmen? Von Agamemnon?«
    Und der große Agamemnon weinte, umarmte Khanussu und sagte: »Welcher König hat solche Männer verdient?«
    Der Tag, Ekel und Entsetzen, an dem sie die Toten zum Strand trugen, damit die Lebenden weiterkämpfen konnten. Leichtverletzte, Achaier wie Trojaner, wurden verbunden, so gut es ging, von jedem, gleich woher; einen Athener, der die ganze Nacht die Därme festgehalten hatte, die durch den grausamen Schnitt den Bauch verlassen wollten, befreite Ninurtas Schwert von der beschwerlichen Helligkeit der Sonne.
    Die Männer, die aus dem Norden zurückgekommen waren – vielleicht die Hälfte der Aufgebrochenen; die anderen waren nach Nordosten gezogen, vorläufig außer Gerüchtweite –, hatten wenig Nahrung mitgebracht, aber die Trojaner, aus der Stadt versorgt, teilten über den schrumpfenden Wall hinweg das Essen mit ihren achaischen Gefährten.
    Denn es wäre ehrlos, einen geschwächten Gegner zu besiegen, sagte Hektor, ehe er im gleißenden Nachmittag das gleißende Schwert hob.
    Ninurta erinnerte sich an tausend Dinge, die aber kein Voreinander und Nacheinander hatten; sie verschmolzen zu einem betäubenden Gesang, einem Bild, das den Betrachter blind machte. Gab es da nicht in den Märchen der Achaier jenes Haupt, von Schlangen wimmelnd, das die Menschen tötete, die es sahen? Oder versteinerte es sie nur? Wer es erfunden hatte, dieses Haupt, mußte Krieger gewesen sein. Alle waren versteinert, biegsam versteinert, tobend versteinert; niemand fand einen Weg aus dem steinernen Labyrinth des Schlachtens. Es war selbstverständlich, daß die Trojaner ihnen zu essen gaben und dann angriffen; ebenso selbstverständlich war es, das Essen anzunehmen, lächelnd, mit Dank, es herunterzuschlingen und den Speer in die Leber des Mannes zu rammen, der die Nahrung gegeben hatte.
    Aber etwas war anders als in der Schlacht des Vortags, des Vorjahrs: Sie alle waren zu erschöpft, um wieder zu fliegen, mit den Schwertern zu den Wolken zu steigen und die kauernden Götter zu verspotten, die unsterblich

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