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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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all dies. Ungenau grau auch die Erinnerung an die winselnden Schreie und den Gestank des Philoktetes, der weiter lebend dahinfaulte und litt und außer dem einen gewaltigen Pfeilschuß wenig tat, wenig tun konnte.
    Aber der Schrei des Ungeheuers blieb, hallte immer wieder nach, betäubte und tötete den zuvor vom Ungeheuer geweckten Schattendrachen im Hirn des Assyrers. Der Schrei blieb, und das, was sich aus dem Schrei ergab, und die eine große Rede des Spartaners Menelaos.
    Der Schrei des Ungeheuers. Kein Dröhnen oder Gellen oder Jaulen: ein kreischendes Messer. Als der von Paris geküßte Pfeil ins Fleisch drang. Es war, als ob in diesem winzigen Augenblick, diesem Zehntel eines Atemzugs, der Unhold alles gewußt hätte. Gewußt, daß der Pfeil vergiftet war; gewußt, daß der Unhold sterben mußte, gewußt, daß er ein Unhold war und sterben mußte, um vielleicht wieder ein Mensch zu sein.
    Das Ungeheuer starb; Achilleus kam zum Vorschein, zum Schein vielleicht, für kurze Zeit sogar zum Scheinen. Achilleus, der nie erwachsene Knabe, der mit verspielter Neugier die Qualen tapfer niederzukämpfen suchte. Achilleus, der zornige Held, der drei Tage lang in Qualen heulte. Die Heiler konnten ihm nicht helfen, ebensowenig wie sie Philoktetes behandeln konnten. Man sagte, sie hätten nicht einmal versucht, Achilleus’ Schmerzen zu lindern. Der sterbende Jüngling, kaum noch fähig zu gehen, türmte mit zitternden Händen seinen Scheiterhaufen; der heulende Heros, den Leib zerfressen von den Feuerschlangen des Gifts, legte sich auf die Hölzer und flehte alle an, eine Fackel hineinzustoßen. Dies hatte er vergessen – vergessen, eine Fackel zu entzünden; und als er erst auf dem Scheiterhaufen lag, war er zu schwach, noch einmal herabzusteigen.
    Philoktetes wandte sich ab, wimmernd; Agamemnon verschränkte die Hände auf dem Rücken und ging zum Hafen, um Schiffe und Getreide und Sandkörner zu zählen. Odysseus und Nestor sammelten Kämpfer zum nächsten Gefecht. Endlich erbarmte sich Diomedes.
    Als der Holzstoß loderte und nichts mehr schrie, hörte Ninurta die Worte, die Menelaos an die Welt und an einige Männer richtete (Odysseus war dabei, und der Ithaker schien zuzustimmen und dennoch abzulehnen):
    »Er soll die Frau und alles Gold behalten, denn er hat die Welt von einem Ungeheuer gereinigt.«
     
    Die Kämpfe gingen weiter, immer lauer; beide Seiten waren erschöpft und des Mordens überdrüssig. Die Nächte wurden kühl, im Herbst; Händler brachten Getreide und Früchte und Trockenfleisch. Eines Tages kamen sechs Schiffe, hochbeladen mit Nahrung; sie legten in der Bucht an, und Keleos geleitete den wichtigsten Mann zu den Fürsten.
    Es war Mukussu, den sie Mopsos nannten: Vertreter, wichtigster Helfer, Berater und Arm des Dunklen Alten von Arzawa. Ninurta wußte nicht, welche Botschaften er brachte; aber am nächsten Tag begab sich Odysseus in die Stadt Troja, und als er zurückkam, verkündete er das Unglaubliche: den Frieden.
    Ninurta ging zu den Schiffen und sprach mit den Männern, die von Memnons Kriegern vieles gehört hatten, ehe das Untier sie zerfetzte; Bod-Yanat hatte auch mit einigen Leuten der Flotte des Mopsos gesprochen und mit Händlern. Irgendwie, durch List oder Wunder oder Zufall, sicherlich auch durch die Ehrenhaftigkeit des Keleos, war den Seeleuten der Kerets Nutzen und der Bateia nichts zugestoßen. Den Bogen, den Khanussu nicht zurücknehmen wollte, ließ der Assyrer an Bord der Kerets Nutzen .
    Als er nach vielen Abschieden – vorübergehende Abschiede , wie alle sagten – die acht überlebenden Shardanier und zwei Libu-Männer und den einen Kampfgefährten aus dem Osten verließ, sah er Odysseus mit Mopsos gehen, dorthin, wo für die Friedensfeier das Bild eines heiligen Pferds errichtet wurde. Odysseus winkte; Mopsos hielt einen Knochen in der Hand und redete. Etwas berührte den Assyrer, ein eisiger Hauch.
    Er dachte an Lamashtu und ihre Empfindungen von Kälte, und es war, als sei dies eine ferne Bugwelle gewesen und Lamashtu das zunächst ungesehene Schiff, das aus dem Nebel kommt. Östlich des Skamandros begegneten ihm Menschen aus der Neustadt und aus Troja – ein Strom von Menschen schob sich über den erhöhten Dammweg (oder dessen Reste) durch die zertrampelten Felder hin zum Fluß, zum Lager der Achaier, und um nicht umgerannt zu werden, mußte Ninurta vom Damm in den niedrigen Lehm steigen.
    Plötzlich war Lamashtu oben, über ihm, schaute auf ihn herab. Sie blieb

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