Troja
goldenen Tage sind vorbei; es kommen die Tage schartigen, gefräßigen Eisens. Sag ihm, die Unterwelt wartet auf ihn. Sag ihm‹ – an dieser Stelle hat er gelacht – ›sag ihm, sein Sohn hält sich bei meinem Freund Madduwattas auf.‹ Ihr wißt, nicht wahr, was Madduwattas in den Nächten des neuen und des vollen Mondes mit Knaben macht, deren Stimmen noch hoch sind?«
Metrodoros stieß einen dumpfen Laut aus und schlug die Hände vors Gesicht. Priamos wurde fahl; stumm starrte er den Assyrer an, aus brennenden, hellwachen Augen, Schächten des Grauens.
»Ferner sagt dies der König von Ashur: ›Als der König Tukulti-Ninurta noch lebte, hat Prijamadu ein Abkommen mit dem Verschwörer Ashur-Nadin-Apli geschlossen. Als der Verschwörer den Thron bestieg, schickte er eine Tochter nach Wilusa, da er keinen Sohn besaß; Prijamadu schickte einen Sohn nach Ashur. Der Verschwörer, der König wurde, starb; nach ihm kam Ashur-Nirari. Diesen habe ich vom Thron gestoßen, den er besudelte. Absprachen der Verräter, die vor mir waren, sind bedeutungslos, sofern sie nicht dem Land Ashur nützen. Sag Prijamadu, er mag mit der Tochter des toten Verschwörers verfahren, wie ihm beliebt. Sag ihm, es gibt kein Bündnis mehr zwischen Ashur und Wilusa.‹ Dies ist das Ende der Botschaft.«
In der stumpfen Stille des Thronsaals knackte irgendwo ein Gegenstand aus Holz; wieder hörte Ninurta unverständliches Kreischen der fernen Kassandra.
Mit reglosem Gesicht und einer Stimme, die aus den Gewölben der Burg zu kommen schien, sagte Metrodoros: »Du hörst die Stimme der Assyrerin, die so alt ist wie Hekapas Sohn Helenos und deshalb als seine anfangs wegen Krankheit verheimlichte Zwillingsschwester gilt. Tochter des Prijamadu.«
»Wenn Ilios vernichtet ist, werden sich Madduwattas und Mopsos wieder den Hatti zuwenden. Nicht vorher«, sagte Ninurta. »Ich habe in Ashur Eisen für dein Gold erhalten, Herr.
Eine Menge Goldes, die dem entspricht, wird in dem Haus liegen, in der Neustadt, nahe dem Platz der Sieben Standbilder. Wir werden es dort zurücklassen. Deine Männer mögen es holen; ich will es nicht.«
Priamos starrte auf den Dolch in seinem Schoß.
»Es steht mir nicht zu, über deine Pläne zu befinden – den Angriff auf Alashia, den kleinen Krieg gegen die Hatti. Es sind deine Söhne, Herr, und die Toten deines Volks. Aber dies sage ich dir: Mukussu und Odysseus werden einen Weg finden, den Frieden zum Gemetzel zu machen. Versperr deine Tore, laß die Achaier den Winter über hungernd in der Ebene jaulen, schick keinen einzigen Kämpfer mehr hinaus. Und vor allem: Glaubt ihnen kein Wort.«
»Geh.« Es war kaum ein Flüstern.
Ninurta kniete nieder, erhob sich und ging zum anderen Ende des Thronsaals, zum Ausgang. Plötzlich war Metrodoros neben ihm, seine Schritte, vorher alt, aber fest, nur noch ein Schlurfen. Der Assyrer warf einen Blick zurück. Priamos saß auf dem Thron, zusammengesunken, ein lebender Leichnam.
Vor dem Thronsaal, im Durchgang zum Burghof, hielt der Ratsherr Ninurta fest.
»Bist du sicher?« sagte er leise. Ninurta nickte.
»Ich werde sehen. Aber ich fürchte…« Er holte tief Luft.
»Er hat keine Kraft mehr. Nicht zum Krieg und nicht zum Frieden, schon gar nicht zum Ausharren. Du hast recht; wir hätten das große Spiel um die Macht nicht wagen, sondern alles für die Abwehr der Achaier aufbieten sollen. Aber…«
»Zu spät, nicht wahr? Was geschieht mit… ihr ?«
Metrodoros lachte bitter. »Helena? Seit Parisiti vom Pfeil des Philoktetes getötet wurde, wärmt sie das Bett des Deiphobos, Sohn des Königs und der Hekapa. Was für eine Frau! Deiphobos schwört, er habe nie so viel Lendensaft verspritzt wie jetzt. Ihr Schoß, ihr Mund, ihre Hände; er sagt, sie brauche ihn nur anzusehen… Und wenn sie nackt ist, trägt sie dein Knochengeschenk, Assyrer. Ich weiß nicht, ob dich das erfreut.«
»Du meinst, nach all den Monden des Mordens könnte mich im Zusammenhang mit Helena noch irgend etwas erfreuen?«
Metrodoros keckerte schrill. »Sei nachsichtig mit ihr, Assyrer. Du und ich, wir wissen, daß sie nur ein willkommener Vorwand für Achiawa war, oder? Ein herrlicher männermordender Vorwand.«
Am nächsten Tag verließen sie die Neustadt. Abends hatte Tashmetu allen, die ihr zuhören mochten, auf dem Platz der Sieben Standbilder geraten, eindringlichst geraten, nach Osten zu fliehen, die Stadt aufzugeben. Im Osten, hieß es, seien die ersten wilden Stämme von nördlich der
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