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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Handelssperre gegen das böse Assyrien. Deshalb können sie nicht auf harmlose Wanderer achten.« Zaqarbal erhob sich; er grinste auf Ninurta hinab.
    »Brauchst du was? Ich muß mich ums Lager kümmern.«
    »Geh nur. Ich werde ein wenig denken.«
    »Blöde Ausrede. Ich hör dich schon schnarchen.«
    Ninurta trank Wasser aus der Lederflasche, blickte angewidert auf die zerfetzten Reste des Leibschurzes und zog einen Zipfel des schweren Reisemantels, auf dem er lag, über den Bauch.
    Sinnlos, so kurz vor Sonnenuntergang noch weiter zu reisen. Von der Wunde nicht zu reden… Er sah zu, wie Sklaven Erde auf die Leichengrube warfen. Andere halfen den Treibern, mit Riemen und Ästen eine Art Pferch zwischen den Bäumen zu bauen. Zwei der assyrischen Krieger waren fortgeritten, um Wasser zu suchen; die übrigen lichteten Unterholz und schleppten Gestrüpp herbei, für eine notdürftige Verschanzung. Er dachte an die Wechselfälle des Reisens, die gefährliche Steppe und den sicheren Wald. In der Steppe schweiften die wilden Arami-Stämme, deren Ergötzen es war, Karawanen zu plündern und Händler zu metzeln. Vermutlich ergötzten sie sich zur Zeit anderswo; die assyrischen Krieger hatten nicht eingreifen müssen. Sie sollten den Zug bis zum Wald bringen, östlich des Flusses Arantu [Orontes] – ein ausgedehntes Stück Land, über dessen Abholzung sich die Fürsten der Mitanni und der Amurru nicht einigen konnten. Dort würde die Karawane in Sicherheit sein, dort könnten die Krieger umkehren.
    Ninurta ächzte, als er sich auf die Seite legte und die Wunde widersprach. Einer der beiden Eselreiter kehrte ins Lager zurück, mit zwei gefüllten Ziegenbälgen. Offenbar hatten die Männer Wasser gefunden; mit vier anderen Kriegern ritt er wieder fort, um noch mehr zu holen. Aus der Steppe kam ein leichter Abendwind; die ersten Feuer flackerten auf. Über Ninurtas Kopf hatte sich irgendein Vogel niedergelassen, der mißtönend sang.
    Etwas wollte aus seinen Erinnerungen ins Bewußtsein dringen, wie ein Nagetier, das sich mit Zähnen einen Weg aus der Gefangenschaft bahnt. Etwas, das mit Feuer und Klingen zu tun hatte, mit Augen und schwarzem Lodern. Er dachte an den Wahn, das Flimmern in den Augen der wilden Frau. Es war, als ob sie beide mit dem Blick innige Kenntnisse ausgetauscht hätten; durch den Augenblick erfuhr er von ihrer hügligen Heimat im Norden, von scharfem Wind und dem Duft der Berggräser, vom Schmerz des Gebarens zweier Kinder und von der Qual des Verlusts zweier Kinder, und vielleicht galt das seltsame Staunen in den Augen der sterbenden Frau nicht seinem Schwert, sondern einer geheimen Schmach oder einem Glanz in seinem Leben.
    Ninurta begann unter dem Mantel zu schwitzen; sein Kopf, leicht wie ein feines Gefäß, schien über dem Körper zu schweben. Die Wunden waren eine glimmende Feuerspur, nicht zu sehen, nur zu fühlen; dennoch war er sicher, daß dieses Fieber nicht von den Wunden ausging. Der Vogel beendete sein Krächzen und flog ins Dunkel. Von einem der Feuer kam ein Hauch: harziges Holz, Fleisch und Wein. Der Geruch sprengte den Käfig; plötzlich war die nagende Erinnerung da.
     
    Es war stickig im großen Raum des Obergeschosses. Tagsüber hatte die Frühsommersonne Dach und Mauern aufgeheizt; nun brannten Kienfackeln in Metallfäusten an den Wänden, mit Fell bespannte Holzrahmen steckten in den Fensteröffnungen, ein schwerer Vorhang schloß den Raum zur Treppe hin ab, und neben der Liege stand das Holzkohlebecken, glomm und stank. Der Mann auf der Liege war sehr alt und sehr reich, und er fror unter mehreren Decken.
    Ninurta schwitzte, obwohl er über dem Leibschurz nur den hellen ärmellosen Rock trug. Aus dem umwickelten Krug goß er Wasser in seinen Wein, aber es war inzwischen bestenfalls noch lau. Er betrachtete Tashmetu, die auf einem dick ausgepolsterten Lederkissen neben der Liege saß und sich vorbeugte, um eine Handvoll Tempelharz über die Holzkohlen zu streuen. Sie warf ihm einen knappen Blick zu, fast ein Zwinkern.
    Der Kopf des Hausherrn war kahl bis auf die Brauen, abgezehrt wie der übrige Körper, und die Nase hätte einen Habicht geziert, aber die Stimme war immer noch kraftvoll, tief, ein Brunnen der Macht. Ein Verlies der Macht? Ninurta erwog den Unterschied, während er in einen gerollten, mit gehacktem Fleisch gefüllten Fladen biß. Brunnen, sagte er sich, aber bald Verlies. Bald würde Kerets gewaltige Stimme nicht mehr durch den Schacht der Brust aufsteigen; Alter und

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