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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Hattusha entscheiden. Nach da drüben.« Er wies mit dem Kinn zum Tor, wo die ersten Frauen und nicht kriegstauglichen Männer sich versammelten.
     
    Ein Unterführer und fünfundzwanzig Mann, dazu vier von Pferden gezogene Karren mit Vorräten – mehr war offenbar nicht nötig, um zweihundert Frauen und Männer zu geleiten. Nicht nötig, weil die Gefangenen in Zehnergruppen aneinandergebunden waren und außerdem die Hände gefesselt hatten. Lamashtu und Ninurta hatten es geschafft, sich ans Ende einer Zehnergruppe zu begeben – Lamashtu als vorletzte. Sie ging mit gesenktem Kopf, was nicht weiter auffiel, da viele Gefangene niedergeschlagen waren und keinen Grund hatten, dies zu verbergen. Ninurta sah, daß sie immer wieder die gefesselten Hände vors Gesicht hob. Irgendwann zischte er: »Vorsicht!« Sie zuckte mit den Schultern.
    Die Heerstraße folgte dem Fluß, der seicht und breit und schnell war. Auf dem anderen, östlichen Ufer standen Gruppen seltsamer, strunkartiger Bäume, unter denen sich Hütten zusammenkauerten: ärmliche Behausungen von Flußfischern, deren flache Kähne wie räudige Kriechtiere dort lagen, und von Bauern. Der nächste Höhenzug verschwamm im Mittagsdunst; so weit man sehen konnte, war der Boden östlich des Flusses bestellt. Es mußte hartes Arbeiten sein, dort drüben, denn die Felder waren gemasert von niedrigen, hier und da bewachsenen Wällen: Mauern, in langen Jahren aufgetürmt aus den Steinen, die von schweren Pflügen aus dem Boden gerissen wurden und leichte Pflüge zerbrachen.
    Das westliche Ufer war offenbar ergiebiger; zwischen der erhöhten Straße und den Berghängen lagen weite, sattgrüne Felder ohne Mauern, nur mit Hecken und Buschgruppen durchsetzt, und die Bauernhäuser – Inseln im wogenden Grün – wirkten fester und üppiger als die Hütten der anderen Seite. Hier und da sahen sie grasende Rinder, aber kaum arbeitende Menschen: Mittag, Zeit der Rast, außer für Gefangene der Hethiter.
    Bis sie Tarsa erreichten, war es mittlerer Nachmittag. Die Straße führte mitten durch den Ort; sehr zum Mißvergnügen des Unterführers herrschte einiges an Gedränge: Es war Markttag, ein weiterer Grund für die mangelnde Belebung der Felder. Der Zug mußte den Platz überqueren, auf dem die Bauern der Umgebung ihre Stände hatten.
    Ninurta sah Lamashtus Armbewegungen; leise sagte er:
    »Noch nicht.« Er betrachtete die Häuser, älter und höher als die von Ura: zweigeschossige Bauten, unten Stein und Balken, oben Ziegel und Balken, darüber Dachgärten, viele davon mit Blumen oder Nutzgewächsen. Er erinnerte sich an zwei oder drei Nebengassen, die noch dort waren, wo sie der Erinnerung nach sein sollten.
    Eine kleine Biegung noch, vorbei an einem mit Ochsenblut rotgestrichenen Haus, vor dem ein Mädchen mit grellen Lippen, blanken Brüsten und lockerer Hüftschärpe stand. Dann der Markt: eine lange abgerundete Lichtung im Gestrüpp der Häuser, in der Mitte die überdachte Fläche für Beratungen und Feilschen, überall hölzerne Tische mit Früchten, Fisch, lebenden Hühnern, und das Gedränge buntgekleideter Menschen.
    »Jetzt!« sagte er.
    Lamashtu drängte sich gegen den vor ihr gehenden Gefangenen, schrie, riß ihn zu Boden. Die ganze Gruppe stockte , taumelte. Ninurta fiel zielsicher gegen das Stützbein eines Obststands; er brach zusammen, die Früchte ergossen sich über die Gestürzten. Vom Nebentisch flatterten Rebhühner auf, als ihr leichter Käfig zerfiel. Fluchende Bauern warfen sich ins Gemenge, um Tiere und andere Waren zu retten.
    »Eine Schlange – zwei – zwei Schlangen!« kreischte Lamashtu.
    Viele Stimmen nahmen den Schrei auf; bei alledem bemerkte keiner der Wächter, daß Lamashtu und Ninurta sich weiter von den übrigen entfernt hatten, als die Fesseln dies eigentlich erlaubten. Eines der Pferde des Karrens hinter ihnen stieg wiehernd hoch, keilte mit den Vorderhufen aus; zwei Krieger versuchten, das Tier zu beruhigen. Der fluchende Bauer, unter dessen Obst sie lagen, zerrte an Ninurtas Bein. Kunden, andere Verkäufer, Schaulustige drängten sich näher. Unter den Früchten spürte der Assyrer die Kante des scharfen Steins, den Lamashtu im Mund gehalten hatte und mit dem sie nun nach der Lederschnur tastete, die beide verband. Er zerrte, ruckte an der Fessel; plötzlich gab sie nach.
    Der Bauer zeterte noch immer; Lamashtu kroch zwischen die Trümmer des Stands. Ninurta folgte, ohne sich um zerquetschtes Obst und das Geschrei zu kümmern. Er

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