Trojanische Pferde
Nachthemd«, sagte Nafta, hob Sashas Arme an und zog ihr das Seidenteil über den Kopf. Sie warf einen Blick zum Kleiderschrank. »Du brauchst etwas Legeres, locker Sitzendes.« Sie bückte sich. »Das hier brauchst du auch nicht«, sagte sie und zog Sashas Höschen hinunter. Sasha bemerkte, dass Naftas Stimme bereits einen unheilvollen Ton annahm, noch bevor sich ihre Worte bildeten: »O Schwester, du wirst dich rasieren müssen.«
Sasha strich mit der Hand über ihren Schenkel. »Ist doch ganz glatt«, murmelte sie.
»Nein, ich meine alles. In unserer Kultur gilt es als Sünde, wenn die Geschlechtsteile behaart sind.«
Sasha fühlte ihre Wangen erglühen und wandte sich ab.
Hat die Erniedrigung denn gar kein Ende?
Sie schlug die Arme umeinander, während sie ins Bad lief.
»Du siehst toll aus«, sagte Nafta zehn Minuten später. Sasha trug jetzt einen schlichten, bis zu den Knöcheln reichenden Leinenrock, Sandalen sowie eine kurzärmlige grauweiße Seidenbluse, die Nafta für sie ausgewählt hatte. »Zeig etwas Dekolleté, aber nicht zu viel.« Sie zupfte an Sashas Bluse herum.
Dekolleté? Ich trage eine durchsichtige Bluse ohne BH.
Ihr Diamant, der ihr in aller Stille, während sie schlief, in einem Samtkästchen zurückgebracht worden war, hing an seinem Goldkettchen um ihren Hals. Ihr Haar und die Augen wurden durch die Elfenbeinfarben von Bluse und Rock hervorgehoben. Sasha hatte ein Rauschen in den Ohren, wahrscheinlich machten ihre Sinne jetzt schlapp, nachdem sie sich eine Viertelstunde lang überanstrengt hatten. Ihr war ein bisschen übel. Lag es an Naftas moschushaltigem Parfüm? Sie hatte das Bedürfnis nach einer Freundin, dachte daran, sich an Nafta zu klammern, wusste aber, dass das auch nichts helfen würde.
Nachdem sie Sasha auf beide Wangen geküsst hatte, klopfte Nafta an die geheimnisvolle Tür ihres Gemachs. Sasha vernahm eine gedämpfte Stimme von der anderen Seite und spürte die Eiseskälte des Messingtürknopfs, noch bevor ihr bewusst wurde, dass sie danach gegriffen, ihn gedreht und die Tür aufgestoßen hatte. Es war der Durchgang zu Ibrahims Gemächern. Aus dem instinktiven Gefühl heraus, dass sie Ibrahim Gelegenheit geben sollte, sie unter die Lupe zu nehmen, blieb sie in der Tür stehen. Das rasende Stimmengewirr in ihrem Kopf rief ihr zu, sie solle sich ungezwungen geben, aufgeregt, beflissen, gelangweilt, was auch immer, solange es nur ihren Drang verdeckte, auf der Stelle die Flucht zu ergreifen.
Sie erblickte tief liegende Augen, die sie unter schweren Lidern hervor beobachteten. Sie sah ein dunkles, glatt rasiertes Gesicht und lockige, zurückgegelte schwarze Haare. Der ruhige Gesichtsausdruckmit den buschigen Augenbrauen konnte, wie bei Jassar, als schwermütig missverstanden werden. Der Mann hatte etwas Gebieterisches, vielleicht sogar Arrogantes, urteilte sie spontan – so viel Auffassungsgabe war ihr immerhin noch geblieben.
Das Äußere hat er von Jassar, auf jeden Fall die Augen. Recht attraktiv, muss man sagen.
Sein gutes Aussehen erleichterte es ihr, ein Lächeln zu zeigen. »Ich bin Sasha«, sagte sie. Er schien etwas zu antworten wie »Ich weiß« und »Ich bin Ibrahim«, und sie bemerkte, dass er aufgestanden war, um sie zu begrüßen, aber hören konnte sie ihn nicht so gut, weil in diesem Moment jemand, sicherlich Nafta, die Tür hinter ihr schloss, worauf alles an ihr erstarrte.
Dann – wie viel später, eine Sekunde? – stellte sich, als könnte ihr Verstand zurzeit immer nur jeweils eine kleine Information verarbeiten, eine schlichte Wahrnehmung ein: Ibrahim trug ein weißes kragenloses Baumwollhemd und eine hellbraune Leinenhose.
Schon besser
. Sie blinzelte und fand, dass er für seine siebzehn Jahre recht erwachsen wirkte, gesitteter, entspannter und selbstsicherer, als sie erwartet hatte.
Ibrahim stand in der Mitte eines behaglichen Wohnzimmers von etwa fünf mal sechs Metern. Persische Teppiche auf dem Fußboden, einige auch über Tische drapiert, um eine üppige Ungezwungenheit zu vermitteln, Möbelantiquitäten in jede Lücke gezwängt, Biedermeier und Regency, gemischt mit Osmanischem Reich, zwei Fuß hohe Beistelltische, um Mahlzeiten oder den Tee im Knien einzunehmen. Kissen und Überwürfe im Übermaß auf mit Dekorationsstoff bezogenen weichen Polster- und Ledersofas. Elch-, Elefanten und Antilopenköpfe an den Wänden.
Ein Männerzimmer. Keine Überraschung. Aber ein bisschen viel des Guten.
Sie war sich nicht mal sicher, ob ihre
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