Trojanische Pferde

Jassar«, sagte sie und setzte sich auf den Polstersessel neben ihm. Auf dem Beistelltisch zog Tee, wie ihre Nase ihr verriet.
    »Wie läuft dein Unterricht in Arabisch und saudischer Geschichte?«
    »Es geht so einigermaßen«, sagte sie in holprigem Arabisch.
    »Nicht übel.«
    Jassars hochgezogene Augenbrauen erinnerten Sasha an den Hausgast in Christinas Chateau, und gleich durchströmte die altvertraute Wärme ihr Gemüt.
    »Ab heute werde ich deinen Islam-Unterricht übernehmen. Wie ich höre, bist du eine eifrige Schülerin. Du weißt, wie wichtig uns allen hier, Ibrahim eingeschlossen, die Religion ist.« Jassar wollte nach dem Tee langen, doch Sasha kam ihm zuvor und schenkte ihnen beiden ein. »Wie kommst du mit Ibrahim zurecht?«
    »Recht gut«, sagte sie, die Augen niederschlagend. Es machte sie verlegen, dass ihr dazu vor allem der Spaß am Sex einfiel, und sie fragte sich, ob sie dessen, wie eines neuen Spielzeugs, bald überdrüssig werden würde, wobei sie sich nicht für eine Sekunde der Illusion hingab, in Ibrahim verliebt zu sein. Eine gewisse, halb widerwillige Zuneigung für ihn konnte sie allerdings nicht verhehlen.
Na, Gott sei Dank.
Wie sollte sie anderenfalls mit der Situation umgehen? Sie unterdrückte einen plötzlichen Drang zu kichern.
Es gibt einige Dinge, die eine junge Frau dem Vater ihres Liebhabers nicht enthüllen darf.
Dann aber:
Vielleicht ist das hier eine Ausnahme?
Sie ließ den Gedanken schnell wieder fallen und besann sich auf eine Weisheit des Korans, die Jassar ihr im Rahmen seines Unterrichts höchstwahrscheinlich nicht zur Interpretation vorlegen würde: »Ein rechter Muslim soll nicht sein Bedürfnis an ihr befriedigen, bevor er nicht ihr Bedürfnis an ihm befriedigt hat.« Sie lächelte in sich hinein.
So gesehen, ist Ibrahim wirklich ein guter Muslim.
    »Ausgezeichnet«, sagte er. »Kommen wir jetzt zu den Lehren des Korans. Ihnen zu folgen ist von höchster Wichtigkeit für ihn, wenn er dereinst ein Führer des saudischen Volks sein wird. Und daher ist es ebenso wichtig für dich, sie zu verstehen und zu beherzigen, um ihm zu helfen, den rechten Weg zu beschreiten.«
    »Verstehe.« Sie fragte sich, ob Jassar auch nur die geringste Ahnung hatte, wie Ibrahim seine Tage verbrachte.
    »Du warst inzwischen lange genug hier, um mit einigen der Probleme bekannt zu werden, die sich uns stellen und die wir zum Wohle unseres Volkes lösen müssen. Ich habe die große Hoffnung, dass Ibrahim sich zu einer verantwortungsbewussten und gebildeten, fest in der islamischen Tradition verwurzelten Führungspersönlichkeit entwickeln wird.«
    Du bist möglicherweise der Einzige, der glaubt, dass er diese Erwartungen erfüllen kann. Ich habe kein einziges Mal gehört, dass er sich mit ähnlichem Engagement wie du zu diesen Problemen oder zu seiner Verantwortung als künftiger Führer geäußert hätte.
Sie seufzte leise. Ibrahim konnte lustig und sogar lieb sein, aber allmählich fand sie es befremdlich, dass Jassar so viel von ihm erwartete und so völlig unvertraut mit seinem tatsächlichen Leben war.
    »Du benötigst mehr als nur ein elementares Verständnis des Islams, damit du Ibrahims religiöse Gebräuche und Einschränkungen nachvollziehen kannst. Bevor wir nun mit unserer Lektion beginnen, wollen wir daher unsere Herzen bereit machen, indem wir bewusst an Allah denken und ihn um Zuflucht vor dem Teufel bitten.« Sasha glitt aus ihrem Sessel und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen auf den Fußboden. Jassar gesellte sich mit seinem speziellen Lesepult, dem
Kursi
, auf das er seinen Koran platzierte, zu ihr. »Das Lesen mit Herz, Seele und Verstand wird als
Tilawa
bezeichnet, und die Regeln der richtigen Aussprache nennt man
Tajweed
. Es reicht nicht aus, die Rezitation der Verse zu erlernen, ohne sie zu verstehen. Im Fortschreiten deines Studiums musst du auch die Bedeutung der heiligen Schriften entdecken und erkennen, welchen Bezug sie auf dein Leben hat.«
    Er stellte den Koran samt Lesepult vor Sasha auf. Sie schlug die Seite auf, die er gekennzeichnet hatte, und begann in stockendem Arabisch zu lesen:
    »Und gewiss werden wir euch prüfen durch Angst und Hunger und den Verlust von Besitz und Menschenleben. Doch verkündige den Geduldigen eine frohe Botschaft, die, wenn sie ein Unglück trifft, sagen: Wir gehören Allah und zu ihm kehren wir zurück.«Sie fragte sich, ob er diesen Abschnitt ausgewählt hatte, um ihn auf ihre eigene Lage zu beziehen, auf ihr Gefühl, alles,