Trojanische Pferde
sagte keiner ein Wort. Sasha sah den glasigen Ausdruck in Ibrahims Augen. Er war noch immer high. Sie hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige gegeben.
»Vielleicht können wir irgendwo hingehen«, sagte Sasha zu Ibrahim. »Ein paar Wochen, ein paar Monate, so lange es halt braucht. Eine von diesen Spezialkliniken.« Der Prinz antwortete nicht. Er ließ den Kopf hängen, als wartete er nur darauf, dass sein Vater das Zimmer verließ, damit er seine Scham abstreifen konnte. Schließlich aber setzte er sich gerade. »Ich gehe nur, wenn Sasha mit mir kommt.«
Sasha sah Jassar an. »Ich kümmere mich um ihn.«
Jassar ging zur Tür, wo er, die Hand auf die Klinke gelegt, stehen blieb. Er wandte den Kopf zurück. »Unsere Geheimpolizei wird alle Vorkehrungen treffen. Die Vorfälle der letzten beiden Tage werden sich nicht wiederholen und nie wieder erwähnt werden.« Er öffnete die Tür und ging hinaus.
M ÄRZ, VOR ZWEIUNDZWANZIG J AHREN . B ETTY -F ORD -K LINIK , K ALIFORNIEN .
Keine Gitter. Nicht mal aus Holz. Er kann hier rausspazieren, wann immer er will, dachte Sasha, während sie aus dem Fenster von Ibrahims schlichtem Zimmer schaute. Sie hörte einRascheln vom Bett her, und als sie sich umdrehte, sah er sie an, hellwach und mit klarem Blick. »Fühlst du dich besser?«, fragte sie.
Er nickte. »Körperlich ja.« Sie schwiegen eine Weile. »Hat sich Vater gemeldet?«
»Ja. Ich habe ihm erzählt, dass du ein paar harte Tage durchzustehen hattest, dich jetzt aber hervorragend machst.«
»Und?«
»Ich glaube, er ist bereit, dir zu vergeben.«
»Danke, dass du mit mir hergekommen bist.« Ein Durchbruch. Vor allem, nachdem er kategorisch darauf bestanden hatte, dass sie mitkommen und sich um ihn kümmern sollte. Gott allein mochte wissen, was Jassar alles hatte anstellen müssen, damit sie entgegen allen Regeln mit Ibrahim zusammenwohnen durfte. »Du weißt nicht, wie das ist, einen berühmten Vater zu haben, dessen Vorbild man nacheifern muss«, sagte Ibrahim. »Alle bewundern ihn. Alle. Die Linken, die Rechten. Ausländische Regierungen. Sogar die Fundamentalisten gestehen zu, dass er der Einzige aus der königlichen Familie ist, mit dem sie sich eine Verständigung vorstellen könnten. Er ist ein Riese. Wie kann man davor bestehen?«
Seine Worte berührten ihr Herz. Sie befeuerten ihre eigenen Gefühle für Jassar und weckten gleichzeitig neue Zuneigung für Ibrahim. Sie fühlte sich von Zärtlichkeit ergriffen, und noch während sie sich dieser Gefühlsaufwallung hingab, wurde ihr klar, dass es eher Mitgefühl war als Leidenschaft. Trotz all seiner Talente, aller Vorteile seiner Geburt war Ibrahim letzten Endes nur ein verwöhnter Teenager, der Angst vor dem Leben hatte, weil er sich seinem übermächtigen Vater nicht gewachsen fühlte.
Sie streichelte ihm den Kopf wie einem Kind, und bald war er wieder eingeschlafen.
KAPITEL 16
J UNI, VOR EINUNDZWANZIG J AHREN . R IAD , S AUD -A RABIEN . Ist schon in Ordnung, du kannst es dir ruhig eingestehen. Es gefällt dir hier.
Sasha eilte, gekleidet in Abaya und Kopftuch, durch die äußeren Flure des Königspalasts, um pünktlich zu ihrem Islamunterricht in Prinz Jassars Arbeitszimmer einzutreffen. Der Unterricht fand heute etwas später als üblich statt, nämlich nach dem zweiten Abendgebet, damit sie, Jassars Wunsch folgend, vor dieser Sitzung, die nach seinen Worten zeremonieller Natur sein sollte, zweimal gebetet hatte, um sich innerlich zu reinigen. Sie wollte auf keinen Fall zu spät kommen. Nicht nur, weil sie wusste, dass es ein spezieller Anlass war, sondern ebenso aus Respekt vor Jassar.
Sie hatte schon sehr früh beobachtet, dass Jassar mit äußerster Konsequenz seine fünf Gebete am Tag absolvierte, jedes Jahr auf Pilgerfahrt nach Mekka ging und darauf bestand, dass alle seine Mitarbeiter im Ministerium ein Gleiches taten. Er hatte ihr von Anfang an gezeigt, dass die muslimische Religion Teil der täglichen Routine, der alltäglichen Stimmung und des Umgangs mit anderen war und sich darin unterschied von anderen Religionen, mit denen sie sich beschäftigt hatte. Erinnert fühlte sie sich allerdings an ihre Erfahrungen in Swami Kripanandas Ashram in Indien.
Ihre Rolle in Ibrahims Leben war durchaus mit beiden Lehren vereinbar, überlegte sie. Während Swami Kripananda selbst sich nicht direkt dazu äußerte, stellte den tantrischen Lehrbüchern zufolge, die sie aus Indien mitgebracht hatte, die sexuelle Vereinigung eine natürlich Feier einer der
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