Trojanische Pferde
Fußboden in der Ecke. Ibrahim stand da und sah sie seelenruhig an, und seine Gelassenheit regte sie nur noch mehr auf, denn sie fühlte ihren Puls bis in die Füße hinunter. »Was sollen wir tun?«, sagte sie. »Wir können nicht zulassen, dass sie dich verhaften.«
Ibrahim lächelte. »Es scheint, als hätten sie das bereits getan.«
»Wie können sie das? Genießt du keine diplomatische Immunität?«
Er lachte. »Jetzt scheinst du dir plötzlich nicht mehr so sicher zu sein. Im Hotel hörte sich das noch sehr überzeugend an. Hast sie angeschnauzt, als wärst du mein Anwalt.«
Sasha lief auf und ab, stellte sich vor, dass der hohlwangige, wurmartige kleine Mann, der Ibrahim in die Falle gelockt hatte, jetzt hinter dem Spiegel saß und sie beobachtete. Sie wusste, dass man ihre Unterhaltung aufzeichnete, oder auf jeden Fall mithörte. Ibrahim schien über etwas nachzudenken. Sie stellte sich so vor ihn, dass die Beobachter nicht sehen – und hoffentlich auch nichthören – konnten, wie sie ihm etwas zuflüsterte. »Wie steht’s nun damit? Mit der Immunität?« Sie hatte den Eindruck, dass ihr Brustkorb sich sehr unregelmäßig hob und senkte.
»Es geht um Drogen. Ich weiß nicht«, sagte er. Sie sah ihm forschend ins Gesicht und erkannte plötzlich, dass die Gelassenheit nur Fassade war. Er hatte nervöse Falten in den Augenwinkeln, und sein Mund war angespannt. Schon hatte sie wieder Mitleid mit ihm. Sie würden das gemeinsam durchstehen.
»Ich verständige deinen Vater.«
Er schüttelte den Kopf. »Nur im äußersten Notfall. Ich denke, ich werde es erst einmal mit dem saudi-arabischen Konsul probieren.«
»Kennst du den?« Sie sah auf ihre Armbanduhr. »Es ist zwei Uhr morgens.«
»Nein, ich kenne ihn nicht, aber er wird reagieren. Er arbeitet für uns. Das ist sein Job.« Sasha glaubte einen erstickten Aufschrei irgendwo in ihrem Innern zu hören, vielleicht war es der Todesschrei einer zerstörten Hoffnung. Sie sah ihm weiter in die Augen. Die Sorge in seinem Gesicht, die nervösen Falten, alles war verschwunden, und an ihre Stelle war der arrogante Ausdruck dessen getreten, der einen Anspruch auf Sonderbehandlung erhebt. Ein Schauer der Verzweiflung überlief Sasha.
Zehn Minuten später stand Sasha hoch aufgerichtet in der hell erleuchteten Eingangshalle der Polizeiwache, die Muskeln angespannt, als machte sie sich bereit, eine körperliche Bedrohung abzuwehren. Die Melancholie, die sie im Verhörraum befallen hatte, lastete weiter auf ihr. In Gedanken wiederholte sie Ibrahims Worte: »Er arbeitet für uns. Das ist sein Job«, dann fiel ihr Naftas Rat ein: Lass dich nicht von deinem Herzen zu dem Glauben verführen, du hättest etwas gefunden, nur weil du es dir ersehnst. Sie fühlte sich, als wäre sie in einem stecken gebliebenen Fahrstuhl gefangen.
Nein, schlimmer noch
. Im Körper eines anderen, in einem anderen Leben.
Die Hoffnungen, die sie für sich und Ibrahim gehegt hatte, waren lächerlich, das wusste sie jetzt. Er hatte ihr soeben indirekt zu verstehen gegeben, dass sie nur eine Angestellte war. Aber vielleicht liebte er sie ja doch, und nur die Drogen standen ihnen im Weg? Vielleicht sollte sie noch ein bisschen abwarten und sehen, wie es weiterging. So viel war sie sich doch wohl schuldig, jetzt wo sie diese Frage für sich aufs Tapet gebracht hatte.
Ach, komm, hör bloß auf. Du hast ihn doch gehört.
Er liebte sie nicht. Sie machte sich hier zur Närrin; sie war seine Konkubine, und diese pubertäre Sehnsucht … wonach eigentlich?
Befass dich lieber damit: Jassar. Was würde er tun? Sie zurückschicken? Wohin? In was für ein Leben?
Denk an den Pakt, den du mit dir selbst geschlossen hast: Genug Geld ansparen und sich dann rausziehen.
Noch hatte sie nicht genug Geld, sie fing ja gerade erst an. Sie würde Frieden schließen mit Jassar. Aber leicht würde es nicht werden. Tränen traten ihr in die Augen. Katastrophe. Der eine Mensch auf der Welt, den sie auf keinen Fall enttäuschen wollte. Ihr kam jetzt zu Bewusstsein, wie tief ihre Verbundenheit mit Jassar war. War das der Grund, warum sie es mit Ibrahim versuchte? Jassar zuliebe? Möglich. Sonst hatte sie ja nichts, mit dem sie Jassar Freude machen konnte. Und wie standen die Dinge jetzt?
Nachdenken auf später verschieben. Gefühle genauso. Jetzt, Konkubine, gilt es erst einmal, diese Sache zu regeln.
M ÄRZ, VOR ZWEIUNDZWANZIG J AHREN . R IAD , S AUDI -A RABIEN .
Sasha eilte durch den Hof auf die schwerfälligen
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