Trojanische Pferde
großen Geschenke des Lebens dar.
Nicht so ganz anders als die islamische Lehre: Sex als Geschenk Allahs, die vorweggenommene Seligkeit des Paradieses; Enthaltsamkeit als Undankbarkeitgegenüber Allah
. Es bereitete ihr keine Bauchschmerzen mehr, ihre Rolle als Konkubine zu genießen.
Ja, ich habe mich hier eingerichtet.
Sie hatte gesehen, wie Jassars Augen mit elterlichem Wohlgefallen aufleuchteten, wenn sie zum Islamunterricht kam, als bekäme er Besuch von einem Lieblingskind. Sie wusste, dass seine Gefühle für sie weit über schlichte Zuneigung hinausgewachsen waren und dass sie für ihn so etwas wie eine Schwiegertochter geworden war, obwohl sie nicht seinem Glauben anhing. Und inzwischen war es auch nicht immer nur Jassar, der das Wort führte. Oftmals, wenn sie ihm zu Füßen saß, ähnlich wie seinerzeit bei den Swamis ihres Gurus, erzählte sie ihm Geschichten aus der indischen Mythologie, wie sie sie als Kind gehört hatte, von Ganesha, ihrem Beseitiger der Hindernisse. Ganesha, der elefantenköpfige Junge, an dessen Statue sie im Rahmen ihrer im Geheimen durchgeführten Puja-Rituale – als »Favoritin« besaß sie ja inzwischen ein Einzelzimmer – ihre Sanskrit-Gebete richtete.
Jassar öffnete die Tür, den Koran in der Hand. »Komm herein, Sasha, du bist sehr pünktlich.«
Sie saßen beisammen, Jassar auf seinem Sessel, Sasha auf einem niedrigen Hocker vor ihm. Sie hielt ihren Blick gesenkt, um nicht aggressiv und respektlos zu wirken, war sich aber, auch ohne Jassar anzusehen, seiner gütigen schwarzen Augen und seiner gelassenen Heiterkeit bewusst.
Er ist erschöpft, dachte sie. Seine Rolle als Finanz- und Wirtschaftsminister begann ihren Tribut zu fordern. Ebenso wie die wachsende Kluft zwischen dem Königshaus und dem saudischen Volk, mit der, wie Ibrahim ihr erzählt hatte, er und Jassar sich täglich zu beschäftigen hatten, jetzt wo Ibrahim den Sommer nach seinem ersten Jahr in Harvard zu Hause verbrachte und seinem Vater bei der Umsetzung des Arbeitsbeschaffungsprogramms zur Hand ging.
»Der gesamte Koran wurde dem Propheten Mohammed über einen Zeitraum von dreiundzwanzig Jahren durch den Erzengel Gabriel offenbart, und Mohammed musste, kurz vor seinem Tod,dem Erzengel den gesamten Text Wort für Wort noch einmal aufsagen, zur Prüfung von dessen Richtigkeit«, sagte Jassar. »Viele sagen, dieser Vorgang sei zweimal durchgeführt worden.«
Kein Wunder, dass er gestorben ist
, dachte Sasha unwillkürlich.
»Als jemandem, der gezeigt hat, dass er die Lehren respektiert, und der den Intellekt und die Integrität besitzt, sie zu verstehen, überreiche ich dir dieses Exemplar des Korans.« Sasha nahm das Buch, das Jassar ihr präsentierte, mit einem leichten Schuldgefühl wegen ihres Gedankens von eben entgegen. Sie hielt es im Schoß und ließ kurz den Kopf sinken wie zum Gebet, Wärme breitete sich in ihr aus, sie empfand Frieden und Gnade. Jassar übergab ihr ein besticktes Tuch, ähnlich dem, in das er seinen eigenen Koran einschlug, und sie legte ihr soeben erhaltenes Buch hinein und drückte es an ihre Brust.
»Danke«, murmelte sie. Es waren kostbare Gefühle, die der ältere Prinz in ihr entfachte. Sie hätte gern gewusst, ob andere junge Frauen, die von eigenen Vätern geführt, gescholten, unterwiesen und beschützt worden waren, das Gleiche fühlten wie sie in diesem Moment.
Sie erhob sich, das Buch weiter in beiden Händen haltend, und beugte sich vor.
Lieber, lieber Prinz. Verlässlicher, sanfter Prinz. Du bist mein Anker, mein Fels.
Sie gab ihm einen zarten Kuss auf die Stirn. »Danke«, sagte sie noch einmal.
J ULI, VOR EINUNDZWANZIG J AHREN . N IZZA , F RANKREICH . Die Leute hier leben wirklich so
, dachte Sasha.
Aber manchmal habe ich das Gefühl, mein Herz würde vertrocknen und weggeweht werden.
Mit Nafta zusammen steuerte sie den »Wellenbrecher« an, Café und Lounge im Hotel Baron David de Duval am ruhigeren östlichen Ende von Nizza. Ibrahim stieg immer im Baron David ab, weil es nicht so trubelig war wie die Hotels in der Innenstadt. Sasha liebte Nizza. Mit der Komtess hatte sie beinahe jede Saison für ein paar Wochen im Negresco residiert, mitten in der Stadt, das Meerdirekt vor der Nase. Jetzt dagegen zog sie es vor, am Rand der Stadt im übertragenen wie auch buchstäblichen Sinne über allem zu stehen, oben auf dem Hügel, wo das elitäre Baron David thronte.
Als Sasha und Nafta den Saal betraten, um zu Mittag zu essen, saß Ibrahim bereits am Tisch, in
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