Trojaspiel
nicht fort. Sie war grün und blau geprügelt. Ich wußte, daß jetzt etwas passieren mußte. Sie blieb auch die folgenden Tage und Nächte bei mir. Kaporovski beachtete uns nicht. Er schien sogar erleichtert zu sein, er selbst hatte immer andere Frauen gehabt, auch jetzt fand er wohl genügend Zerstreuung, denn er konnte sich endlich gehenlassen. Es gab im Truzzi keine Messernummer, bei der auf Menschen geworfen wurde. Aber es fiel jedermann auf, daß Kaporovski seine Messer nicht mehr warf wie ein Artist, sondern so voller Wut, als würde er mit ihnen töten wollen. Jemand machte einen Zwischenruf, während einer Vorstellung. Es war keine Beleidigung, sondern ein lustig gemeintes ›Ach, was für ein Mann!‹ Als würde der Messerwerfer einen unsinnigen Kampf führen, gegen das Holzbrett, die Spielkarten oder die Ringe, auf die er mit Messern warf. Und dann machten auch manche Artisten im Zirkus ihre Witze. Er bestellte Chascha auf eine Aussprache zu sich, und Chascha bat mich, sie zu begleiten. Sie hatte Angst. Ich sollte draußen warten. Aber als ich sie schreien hörte, mußte ich die Tür aufbrechen. Chascha lag auf dem Boden, und er trat sie mit den Füßen. Ich legte ihm nur meine Hände um den Hals, und er beschimpfte und beleidigte mich sogar noch weiter. Seine Frau heulte und schrie, sie war aufgestanden und trat jetzt selbst nach ihm. Als ich meine Hände von seiner Kehle löste, sackte er zu Boden. Ich erkannte sofort, daß er tot war. Ich wußte es gleich, ohne daß ich es begreifen konnte. Er lag auf dem Boden, die Arme verkrampft und den Blick so starr. Ich hatte ihn getötet. Chascha trat noch immer nach ihm, sie lachte sogar und spuckte ihn an. Aber mir ist in diesem Augenblick zum ersten Mal bewußt geworden, daß es eine menschliche Seele gibt, daß es neben dem leblosen Körper dort am Boden noch etwas anderes geben mußte, was das menschliche Leben ausmachte. Denn das war es, wonach Chascha trat und worauf sie spuckte, und in dieser Minute des Wahnsinns begann ich mich vor ihr zu fürchten. Wir ließen die Leiche einfach liegen. Chascha war eine Weile wie von Sinnen, sie konnte nicht einmal mehr sprechen. Am Abend noch verließ sie mich und riet mir, mich nicht selbst zu verraten. Aber jeder sah es mir an, und bei den Proben wollte nichts mehr gelingen. Als sie Kaporovski fanden, geriet ich sofort unter Verdacht und wollte fliehen. Ich flehte Chascha an, mit mir zu kommen, denn ich hatte Angst, eingesperrt zu werden, niemand würde mir jemals glauben. Ich wollte für sie sorgen, auch Geld hatte ich noch genug, und sie war doch jetzt ganz allein. Aber sie blieb den Hunden und ihrem Pudel. Ich wollte ihr sogar alles geben, was ich hatte, aber Chascha sagte nur, ich hätte sie bereits von ihrem Mann befreit, mehr würde ich nicht für sie tun können.«
Der Knabe ließ den Mann, der seine Erzählung beendet hatte, nicht aus den Augen, aber er stellte keine Fragen. Die Geschichte kam ihm nicht schrecklicher, nicht verhängnisvoller vor als andere, die er gehört oder selbst erlebt hatte. Was ihn am meisten berührte, war das Gefühl, daß Asruni nicht zur Hauptsache darunter litt, seine Geliebte und seine Hunde verloren oder einen Totschlag begangen zu haben, sondern darunter, davon war der Knabe überzeugt, diese Geschehnisse nicht zu begreifen und ein für allemal feststellen zu müssen, daß es sein Mangel an Verstand war, der sein eigentliches Unglück ausmachte.
Er hatte ihn nur mit den Tieren gut auskommen, ihn aber für die menschliche Gesellschaft unbrauchbar werden lassen. Sein Mangel an Verstand und die daraus resultierende Furcht zu versagen, hatte ihn daran scheitern lassen, die Tradition der Familie fortzuführen, und damit war der Grundstein für sein weiteres unglückliches Schicksal gelegt worden.
So dachte wohl Asruni tatsächlich über sich. Und wirklich hatte ja der Artist, der die Gefühle von Hunden so gut beschreiben und lenken konnte, nicht gemerkt, daß ihn Chascha niemals geliebt hatte. Da war es sogar besser, dachte der Junge, daß dieser Verlust ihn nicht am meisten schmerzte.
»Sie hätten sich stellen sollen«, sagte der dann nüchtern und eigentlich nur, weil er glaubte, daß sein fortgesetztes Schweigen Asruni noch kleinmütiger machen müßte.
»Niemand hätte an Ihrer Geschichte gezweifelt, es war ein Unfall. Sie lügen nicht, und Sie sind kein Verbrecher, man sieht es Ihnen an. Rodomanti ist einer, mag er soviel reden, wie er will. Auch
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