Trojaspiel
leierte und betäubender Rosenduft aus dem noch immer stattlichen Dekolleté seiner Gastgeberin sich mit dem intensiven Geruch der Hyazinthen hinter der offenen Tür zum Garten und dem Geräusch eines klappernden Fuhrwerks von der Via Fiodor vermischte, wurde dem Kapitän klar, daß er gar nicht, aber auch ganz und gar nicht verstand, womit der Knabe ein solches Schicksal verdient hatte.
Noch immer beschäftigte ihn gegen seinen Willen dieser Gedanke, als er spät am Abend in seiner Koje lag und auf einer billigen, von der salzhaltigen Luft bereits stark angegriffenen Mundharmonika ein portugiesisches Volklied spielte, laut, sehr laut, da er doch seinen Auftrag so schnell wie möglich aus dem Kopf bekommen wollte. Was ihm aber in diesem Augenblick gar nicht gelingen konnte, so kurz nachdem er müde, gar nicht aufgeregt oder unsicher, gar nicht erschüttert oder besorgt, noch halbwegs nüchtern, Sipov, dem ersten Steuermann zugenickt hatte, der an seine Tür gekommen war, mit fragendem Blick, reine Rhetorik, oder der Versuch, das Band der Schuld fester zu knüpfen. Sipov, der jetzt auf dem Weg unter Deck war, wo Asruni und Rodomanti mittlerweile aus ihrer unfreiwilligen Betäubung, eingeschlossen seit heute morgen, erwacht sein mußten, hinter den Türen ihrer Kabinen, nur um in die kalten und konzentrierten Augen des ersten Steuermannes zu sehen, der ihnen mit seinem Finnenmesser die Kehle durchschneiden würde.
Der Knabe in seinem Bett grübelte über andere Dinge. Alle Garderobe und die Bände seiner Handbibliothek, die den schweren Inhalt der beiden Truhen bedeckt hatten, waren in Schränken und auf Regalen verstaut, und nun fiel das Mondlicht durch die Balkontür ins Zimmer, ließ mit Hilfe der Kisten an der Decke und den Wänden ein schimmerndes Lichtfleckennetz wie ein liebevoll gewölbtes Firmament entstehen, das den Jungen schützen und ihm Zuversicht geben sollte.
Denn die Truhen, sie standen offen, als wäre es das Natürlichste der Welt, wenngleich, im gewissen Sinne, was den Jungen betraf, es sich ebenso verhielt.
Sie waren gefüllt mit leuchtendem Gold und Juwelen, mit Colliers, Armreifen, Ringen, Uhren, Broschen, Diademen, Ketten, Tabatieren, sogar Geschirr und Besteckteilen, manche der Preziosen waren Hunderte von Jahren alt, viele von ihnen hatten Menschenschicksale bestimmt, Ehen besiegelt, andere zerrissen, Familienfehden ausgelöst, um die meisten war Blut vergossen, für einige gemordet worden, und sie stellten einen Wert dar, der die Unruhe des Kapitäns, der nichts Genaues wissen konnte, aber einiges ahnte, denn er war ein kluger Mann, erklärte, die unerhörte Versuchung, diesen Schatz in seinen Besitz zu bringen.
Dem Knaben aber war dieser Reichtum gleichgültig, das einzige Schmuckstück, das ihm etwas bedeutete, trug er um den Hals.
Er hatte fliehen müssen, und jetzt, bei seiner Ankunft in Genua, einem vorläufigen Aufenthalt, war er zum ersten Male gezwungen, auf eigenen Beinen zu stehen und sich zu behaupten.
Sein Rüstzeug dafür war nicht gering, er hatte viele Bücher gelesen und womöglich einige der besten Lehrer gehabt, die man in seiner Heimatstadt finden konnte.
Auch wenn der Inhalt der Truhen ihn unabhängig machte, er wollte den Schatz nicht, hatte kein Interesse am Reichtum, sein Leben wäre sonst anders verlaufen.
Genaugenommen begriff er sogar, wie die beiden Kisten, die sein Leben für immer und ewig auf sichere Beine stellen konnten, ihm sogar zur Last werden, ihn in Gefahr bringen konnten, wenn er nicht vorsichtig genug war.
Er würde eine Arbeit annehmen, gewöhnliche Menschen kennenlernen, um ihnen ähnlicher zu werden.
Sich unauffällig zu kleiden, diskret vorzugehen, seinen richtigen Namen nicht zu nennen, das war ihm bereits zur Gewohnheit geworden. Und natürlich, der Portugiese hatte recht gehabt, wußte er bereits, daß er niemandem, keinem Menschen, trauen durfte.
»Worin lag das Verbrechen des Knaben? Bianchi hat es uns nicht gesagt. Es mußte wohl in dem Umstand gelegen haben, daß man so ungeheuren Reichtum nicht verschwendet für einen so geringen Dienst, für die Übernahme einer bloßen Rolle, derjenigen des Vaters.
So gering war der Dienst, daß der leibliche Sohn eifersüchtig wurde, sogar morden wollte, um seine Benachteiligung auszugleichen. Aber wie kann man denjenigen bestrafen, dem man sein Vermögen verdankt?
Lag das Verbrechen nicht eher
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