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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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hatten, unter einem Baum eingeschlafen. Als sie ihn wecken wollten, stellten sie fest, daß er gestorben war. Es schien, erzählten sie, als habe er sie von einer Last befreien wollen, denn er war alt und gebrechlich und schon seit langer Zeit wunderlich gewesen. Der Bruder des Jungen arbeitete in den Docks, und der Kleinere sammelte auf dem Markt verdorbenes Obst und Gemüse auf und verkaufte die besten Stücke in den armen Vierteln am Stadtrand, an kinderlose Greise und Kranke, die sich nicht mehr selbst versorgen konnten. Er lief den ganzen Weg zu Fuß und manchmal nur, um seine Waren einfach zu verschenken. Dieser Junge hatte einen kleinen Hund, der ihn auf jedem Weg begleitete. Es war ein seltsames kleines Tier, das sich das Bellen irgendwann abgewöhnt hatte und statt dessen nur noch jaulte. Er hatte sich darin so geübt, daß es manchmal so klang, als wolle der Hund ein Liedchen singen. Im Asyl waren keine Hunde erlaubt, und so versteckte der Junge den Hund unter seinen Sachen und nachts unter der Bettdecke. Das ging nur, weil der Hund nie bellte, aber um das Jaulen scherte sich niemand, denn die meisten von uns fielen abends betrunken ins Bett und gaben die merkwürdigsten Geräusche von sich. Das war ja gerade das Problem, das Geld, das man als Tagelöhner in den Docks verdiente, reichte nicht einmal für ein Zimmer, das Asyl kostete jedoch nur vierzig Kopeken, und diejenigen, die nicht sparten, das war die Mehrzahl von uns, legten den Rest in Wodka an. Die beiden Jungen sparten ihr Geld für eine Überfahrt nach Amerika. Das war ihr Traum. Als sie genug beisammenhatten, schenkte mir der Kleine das Hündchen, denn ich hatte es inzwischen so liebgewonnen wie er selbst, und auf die Schiffspassage konnten sie das Tier nicht mitnehmen. Ich brachte dem Hund bald eine ganze Reihe von Kunststückchen bei, erst, um ihn abzulenken, denn er sollte doch den Jungen so bald wie möglich vergessen. Aber dann merkte ich, daß die Gelehrigkeit des Tieres anderen genausoviel Freude machte wie mir selbst. Wenn ich in den Kneipen am Hafen auf die Agenten der Frachtunternehmen wartete, die Arbeiter für den nächsten Tag anheuerten, trank ich nun nicht mehr, sondern beschäftigte mich mit dem Hündchen, Duscha hat es geheißen. Die Schauerleute lachten und klatschten, sie gaben mir Geld, und bald war das mehr, als sich in den Docks verdienen ließ. Ich trat mit Duscha dann auf den großen Boulevards auf, bis ein Polizist auftauchte oder mich die Geschäftsleute wegjagten. Und dann begegnete ich Sanzenbacher. Es war ein reicher Deutscher, der mit Lampen-, Glas- und Kerzenfabriken und einer Brauerei Millionen verdient hatte. Er liebte Tiere genauso wie ich, das habe ich sofort gesehen. Sanzenbacher war ein wohltätiger Mensch, er spendete Geld für Waisenheime und hatte mitten im Herzen der Stadt im Garten seiner Villa einen großen Zirkus bauen lassen, in dem er viele Artisten beschäftigte. Zuschauer mußten keinen Eintritt bezahlen, Kinder bekamen immer die besten Plätze. So hat meine Karriere im berühmten Zirkus Truzzi begonnen. Herr Sanzenbacher hat mich engagiert. Er gab mir eine Wohnung und Geld, um weitere Hunde zu kaufen. Mein Kostüm wurde später von einem teuren italienischen Schneider angefertigt. Es war fast wie das eines Clowns. Ich spielte einen Bauern, der mit seinen Hunden in die Stadt kommt, um Gemüse und Eier zu verkaufen. Die Hunde wollen ihn nicht alleine gehen lassen, sie folgen ihm auf Schritt und Tritt. Es gelingt ihm nicht, sie festzubinden oder einzusperren, immer entwischen sie ihm, und so begleiten sie ihn auch in die Stadt. Oder ich spielte einen Schuster, dessen reiche Erbtante gestorben war, aber statt der vielen Rubel, die sie dem Seefahrerheim vermacht hatte (das war so recht nach dem Geschmack der Odessiten), erbt er nur ihre fünf Hunde, Plagegeister, die seinem Geschäft und seiner jungen hübschen Frau zusetzen. Sie ist eine stets grell geschminkte, zimperliche, nicht ganz vornehme junge Dame, die auf dem griechischen Markt mit Blumen handelt. Meine Frau aber, das war die Chascha . . .«
      
       Der bleiche Knabe hatte den Zirkus Truzzi selbst schon besucht, vor langer Zeit, zusammen mit seiner Mutter. Aber er konnte sich nicht mehr gut erinnern. Er war damals noch sehr klein gewesen. Seine Mutter hatte die Arme um ihn gelegt, während er auf ihrem Schoß saß. Ihm war, als hätte er damals einen Elefanten gesehen, ein großes Tier, das sich bewegte, als würde es humpeln. Er hatte

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