Trojaspiel
Sie schamlos, und verfolgen Sie dafür um so unschuldiger Ihre Pläne. Schützen Sie sich. Verlieren Sie Ihr Ziel nicht aus den Augen, denn nur so kann eine Flucht gelingen.«
Und dann, als sie auf das freie Meer hinausglitten und das Schiff im heftigen Nordostwind krängte, wurde ihm klar, was er da am Ufer gesucht hatte, seiner Nase folgend, während er nachdachte. Denn dort im Hintergrund der grün bemalten Felsen lag der Ursprung einer anderen Flucht, der ersten, die zugleich Literatur und Legende war, ausgehend von einem Ort, den man für phantastisch gehalten hatte wie Atlantis und der doch entdeckt werden mußte, der seine Entdeckung erzwungen hatte, mit der Macht seiner Geschichte. Troja, die Stadt am Hissarlik südlich des Hellesponts, die nach zehnjährigem Krieg durch eine List gefallen war.
Die Truhen, die zuerst und mit größter Sorgfalt bewacht an Land gelangten, von Bord getragen von jeweils vier Männern, diesmal begleitet vom Kapitän, sie schienen, als die Nautilus in Genua vor Anker gegangen und am Handelskai vertäut war, den Hauptzweck der Reise auszumachen. Die Passagiere waren nicht einmal an Deck zu sehen. Dem Knaben hatte man bedeutet, er solle sich zunächst versteckt halten, es war die letzte Weisung von Herrn Winnizkij gewesen, der den Kapitän beauftragt hatte, an Land und besonders in ein paar Lokalen, die er ihm genannt hatte, zu erkunden, ob nicht auf irgendwelchen Umwegen (Spitzel, Verräter und Spione gab es in allen Geschäftsbereichen des Herrn Winnizkij) eine ungelegene Nachricht über den Jungen die italienische Hafenstadt eher erreicht hatte als dieser selbst und ob er deswegen erwartet wurde und von Gefahren bedroht war.
Aber nicht einmal die üblichen Müßiggänger am Kai, die müde die Posen ihrer Angeln im Wasser tanzen ließen oder auf morschen Kisten saßen und Chianti aus strohumflochtenen Flaschen tranken, interessierten sich für die Nautilus. Die Ankunft des Schiffes war nicht angekündigt worden, Schauerleute standen nicht bereit, die Fracht, die man, nachdem erneut Proviant und Frischwasser aufgenommen worden waren, erst in Toulon entlöschen würde, war ein völlig zweitrangiger Gegenstand.
Auch in den Lokalen, die Winnizkij dem Portugiesen nicht genannt hatte und die der Kapitän, der ein kluger Mann war, ebenfalls aufsuchte, interessierte sich niemand für die Nautilus. Die Schwarzmeerräuberpistolen Odessas waren kein Thema. Und wie gut sich Herr Winnizkij auf den Portugiesen verlassen konnte, zeigte sich vielleicht am ehesten in der Tatsache, daß er die Kisten in das sicherste Haus der ganzen Stadt transportierte, in die Villa Cleremonti, wunderschön gelegen an der Via Corsica, und sie dort in ein großzügig möbliertes Zimmer stellen ließ, das wie alle anderen Zimmer im südlichen Flügel des Hauses nur an ausgesuchte Gäste, nur langfristig und nur gegen Vorauszahlung vermietet wurde. Der Kapitän, der bei seiner Einlassung am Kai von Odessa bezüglich seiner Liebschaften in diversen Häfen stark untertrieben hatte, war bei diesem Teil seines Landganges gekleidet wie ein Lord. Frau Cleremonti, als Gattin des Polizeipräfekten der Provinz über jeden Verdacht erhaben, empfing ihren alten Bekannten mit großer Wärme, und die Legende, die hieb- und stichfest die Anwesenheit des Knaben hier vor Ort erklären und glaubwürdig machen sollte, war dafür sicherlich nicht die Hauptursache. Die einzige Angst des Portugiesen, die man ihm allerdings nicht ansah, war begründet in der Nähe der beiden Kisten. Er wollte so schnell wie möglich so weit wie möglich von ihnen entfernt sein, um sie dann so gründlich wie möglich zu vergessen. Bei seinem nächsten Besuch, wenn ihm denn, er hoffte es allerdings nicht, Herr Winnizkij dergleichen auftragen sollte (und freiwillig wollte er in diesem Haus – Frau Cleremonti erfuhr das freilich nicht – nie wieder erscheinen), würde er den Jungen, der ja versorgt und, soweit er wußte, mit allen Wassern gewaschen war, hoffentlich nicht mehr antreffen, denn, im Vertrauen gesprochen, warum sollte der Knabe freiwillig bleiben, die ganze Welt stand ihm schließlich offen.
Und während der Portugiese feinen Darjeeling-Tee im Salon des Polizeipräfekten trank und Frau Cleremontis blitzende Zähne betrachtete, zwischen denen, öfter als schicklich sein konnte, ihre rosige Zunge sichtbar wurde, während auf einem Columbia-Grammophon die Arie ›Un bel di vedremo‹ aus Madama Butterfly
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