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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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Vaters den Vater schon längst ersetzt hatte. Vielleicht aber auch nur, weil Birnbaum mit seinem Kopfschütteln und den Seufzern die einzige moralische Instanz im Hause war, vor der Theo seine Schwächen zeigen konnte, ohne sich zu schämen.
       Der Rabbi machte sich Sorgen um Theo.
       »Die kleine Saschka beißt ihm in den Finger, bis es blutet, und der Junge schreit nicht einmal!« erzählte er der besorgten Mutter eines Abends. Der Knabe saß unterdessen in einem eleganten Schlafanzug auf der Fensterbank und beobachtete die fliegenden Händler auf der Straße, den einäugigen Zeilig Katzenbauch, der getrocknete Makrelen an einer Schnur um seinen Körper trug, Schrul Spiro, der auf einem Handwagen mit einer Plane abgedeckte Kontrabande durch die Straßen fuhr: Hinter einem seiner gelblichen Ohren klemmte eine mächtige Zigarre mit hübscher Bauchbinde, die für diejenigen, die ihn nicht kannten, als Geschäftskarte diente.
       »Ich muß auch von Deliah Blühstein sprechen, die mir davon erzählt, wie sie sich mit Lipa Bromberg am Karren des Gemüsehändlers Kaschernikov unterhält und von unserem Theo hier darauf hingewiesen wird, daß sie drei Kopeken zuwenig herausbekommen hat. Deliah rechnet nach und erkennt, der Junge hat die Wahrheit gesagt. ›Lauter und unvoreingenommen kam es aus seinem Mund, in der Absicht, einen Irrtum aufzuklären, nicht um anzuklagen‹, berichtet mir Madame Blühstein. Aber der Händler Kaschernikov fragt sich, wie es denn wohl angehen könne, daß ein Fünfjähriger ihm sein Geschäft vorrechne. Und jetzt liegt Madame Blühstein mit dem halben Seredinski-Markt im Streit. Der Knabe, versicherte sie mir, habe sie nämlich auch darauf aufmerksam gemacht, das Krupnik und Morderfeld Gewichte, die sich als ›zu leicht‹ erwiesen, zusätzlich mit ihren Fingern beschwerten. Ganz entspannt, während sie sich bei der arglosen Kundin nach dem Befinden der reizenden Schwesterchen erkundigten.«
       Die Mutter nahm ihren Sohn mit dem Hinweis auf seine ausgezeichnete Beobachtungsgabe und die bekannte Durchtriebenheit der Marktleute des Viertels in Schutz, aber anscheinend war es nicht das, worauf der Rabbiner hinauswollte.
       »Aber ja, geschenkt! Geschenkt!« rief der Rabbi. Er hatte beschwichtigend die Hände gehoben und sah ein, daß er deutlicher und vor allem ruhiger werden mußte.
       »Das weiß ich doch alles. So sind die Menschen hier, unser Israel Rochumovski, der Goldschmied, er hatte die Tiara des Saitaphernes für zweitausend Rubel an den Louvre verkauft, und obwohl sie aus dem dritten Jahrhundert stammen sollte, hat er für ihre Herstellung nur drei Wochen gebraucht! Dieser Mann war ein Genie!«
       »Niemand ist dabei übrigens zu Schaden gekommen«, beeilte sich Birnbaum hinzuzufügen.
       »Als die Fälschung entdeckt und in der Presse belacht wurde, verdoppelte sich die Besucherzahl, und der Louvre hatte sogar ein Geschäft gemacht!« haspelte er weiter.
       »Aber ein Fünfjähriger, der sein Haus und seine Freunde, der die ganze Welt betrachtet, als wäre sie eine – Versuchsanordnung, der ist doch wohl möglicherweise . . .«, und der Rabbi, dem einfiel, daß der Junge ja zuhörte, zwang ein Lächeln auf sein Gesicht und hob beschwörend die Arme in die Luft, »etwas ungewöhnlich«, schloß er dann matt, weil er einsah, daß er selbst eigentlich gar nichts dagegen haben würde, wenn alle Knaben des Viertels so wären wie Theo. Aber das sagte er nicht. Die Mutter, die den Jungen mittlerweile von der Fensterbank gepflückt hatte, sprach schmeichelnd in Theos Ohr.
       »Er ist ein guter Schüler, schon jetzt. Er ist den anderen weit voraus und spricht die Wahrheiten aus, die er erkennt. So wie jedes Kind.«
       Birnbaum hob den Kopf und sah, wie der Junge zufrieden an den Hals seiner Mutter geschmiegt lag, als wäre es ihm allein aufgrund seiner beispielhaften Redlichkeit gelungen, den Verlauf des Gespräches auf dieses versöhnliche Ende zu lenken. Der Rabbi widersprach nicht. Und um dieses Bild, das ihn an Szenen seines eigenen Familienlebens erinnerte, nicht zu zerstören, erwähnte er auch nicht, daß die Klugheit des Jungen auch einen Stich verdächtiger Durchtriebenheit besaß.Das war, was er am allerwenigsten begriff. Warum, fragte er den Jungen in Gedanken, läßt du ein unversehrtes Hühnerei auf den Kopf von Zipperstein fallen?
       Der Dieb, der in Rage gebracht ein gefährlicher Kerl sein konnte, hatte den flüssigen Segen von der Mütze

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