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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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ihm, um seine Theorie zu untermauern, Tragödien vor, in denen gemordet, vergewaltigt und gebrandschatzt wurde, teilweise in Versform, und der Rabbi, der allerdings der Meinung war, daß es einem Knaben nicht schaden könne, aus den Werken von Vergil, Euripides, Homer oder Racine zu hören, da er sie ohnehin nicht verstehen würde, ahnte nicht, welche Geister die Träume Theos heimsuchten, und er verstand nicht, warum der Knabe, wie die Mutter berichtete, wenn er nachts aufstand, um die Straße zu beobachten, auch auf der schwärzlichen Bahn unterhalb des Fensters noch immer Schatten zu erkennen glaubte, lebendige Menschen, die dort ruhelos umherwandeln würden, bedrängt von Nachtmahren, wie er selbst.
       Ljutov, der dichtende Journalist, sprach mit Theo immerhin wie mit einem Erwachsenen. Der Knabe registrierte jedoch, daß der verhinderte Poet nur dann nicht gleichgültig wie ein Schaf durch seine Brillengläser glotzte, wenn Lisa zugegen war. Er schien sich sogar herauszuputzen für die seltenen Gelegenheiten, bei denen er, ohne jemals zu wagen, ihr nahe zu kommen, die junge Mutter durch den Duchovskigarten begleiten durfte. In diesen glücklichen Augenblicken wuchs Ljutov geradezu über sich hinaus. Er referierte das politische und kulturelle Geschehen der Stadt und sprach über das gesellschaftliche Leben, als sei alles von ihm selbst inszeniert worden. Alle geheimen Machenschaften und Hintergründe, alle Intrigen und Verstellungen waren ihm vertraut. Er machte wissende Andeutungen über die politische Korruption in der Stadt und kommentierte abgeklärt aktuelle Skandale, und die Wirkung seiner kaltblütigen Offenherzigkeit war selbstverständlich verheerend. Sie war gleich Null.
       Hätte Ljutov mit anderen Worten nur begriffen, daß Lisa, während sie seinen unerhörten Berichten lauschte und aus Höflichkeit angemessen neugierig kommentierte, an Gott und die Welt dachte, nur nicht an ihn, wäre er dem Knaben in der übrigen Zeit wahrscheinlich weniger auf die Nerven gefallen.
       Aber da es Ljutov für zweckmäßig hielt, zu Theo, um den sich ja fast das ganze Haus kümmerte, ein gutes Verhältnis zu entwickeln, las er ihm Beiträge und Reportagen vor, bevor er sie in die Druckerei trug, übte mit Theo, der klingende Brocken fremder Zungen auf der Straße fast gewohnheitsmäßig nachplapperte, weil Lisa es so wollte, Französisch, die Sprache der feinen Leute, und Italienisch, die Sprache der Börse und des Handels.
       Hierbei wurde er unterstützt von jenem Aaron Lukin, einem begnadeten Mathematiker, der mondsüchtig war und einmal nur mit einem Nachthemd bekleidet um vier Uhr morgens von seinem damaligen Studentenzimmer in der Hospitalstraße unbehelligt bis zum Quarantänehafen gelaufen und ins Wasser geplumpst war. Ein holländischer Maat, der Nachtwache auf einem Frachtschiff gehalten hatte, war Zeuge dieses Unfalls geworden und hatte Lukin gerettet.
       Nur drei Tage später bestand der verschnupfte Student seine Abschlußprüfung mit Auszeichnungen. Trotzdem mußte er sein weiteres Dasein als Hauslehrer und Verfasser mathematischer Fibeln fristen. Weil er Jude war, hatte er keine Anstellung an der Universität erhalten, und um als freier Wissenschaftler zu arbeiten, war er zu arm.
       Von Lukin hatte der Knabe zum ersten Mal erfahren, der einzige Trost im Leben sei die Mathematik, sie genüge sich selber und bedürfe keiner Erfahrung.
       Auch ein Mensch, der nicht wisse, ob die Milch weiß oder grün sei, könne es in der Mathematik zu etwas bringen, verriet Lukin. Alle anderen Anstrengungen im Leben waren für ihn nur Experimente, hoffnungslose Versuche, aus einfachen Beobachtungen Gewißheiten für ein ganzes Leben abzuleiten. Wen könne es da wundern, fand Lukin, daß auch das Lokalgeschehen, über welches sein Nachbar Herr Ljutov berichtete, ein trostloses Durcheinander war!
       Der Mathematiker war begeistert von der schnellen Auffassungsgabe des Knaben. Und Theo widersprach nie, sondern runzelte höchstens die Stirn, etwa, wenn man ihm gestand, daß die Mathematik es war und nicht Religion oder Kunst, die Natur und Mensch unsterblich mache, indem sie alles, was in der äußeren Welt existiere, in einer idealisierten und reinen Form wiedergebe.
       »Wo findet man denn in der Natur einen wirklich runden Kreis oder eine wirklich gerade Strecke?« fragte Lukin, ungeschickt mit seinen langen Armen rudernd.
       »Wo gibt es den rechten Winkel, die ebene Fläche, den Quader,

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