Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
Vom Netzwerk:
eine Aureole zierte das runde Gesicht, dessen Augen abwartend und gütig in die Welt hinaussahen.
       »Komm, folge mir nach!« stand unter dem Bild. Birnbaum hatte geseufzt und den Kopf geschüttelt, aber nichts Schlechtes daran gefunden, und es dem Knaben, der den Drachen ohne Kopf interessanter gefunden hätte, gelassen. Dieser Zipperstein war ein Rätsel, er machte Geschenke und spottete doch im nächsten Augenblick, vor allem, wenn er dem Jungen scheinheilige Fragen stellte, um herauszufinden, weshalb dieser die Fingerfertigkeit des Diebes (seine Geschäftsgrundlage) so schnell durchschaut hatte.
       »Warum hast du nicht auf die Nußschalen geachtet, warum siehst du nicht die Karten, die sich auf dem Tisch bewegen? Du achtest auf meine Hände, du beobachtest die Bewegungen meiner Arme und stellst Vermutungen darüber an, was du nicht sehen kannst, statt das zu begreifen, was du siehst! Niemand sonst macht das, es sei denn einer, der dieses Handwerk kennt, ein Spitzel oder ein – Meschuggener!«
       Der Dieb war nicht sicher, ob er überhaupt eine Antwort erwarten durfte. Er hatte sich nur Luft machen wollen. Warum sollte denn auch ein Fünfjähriger sein Verhalten erklären wollen? All das mußte Zufall gewesen sein, die Verspieltheit von Kindern, die in aller Unschuld sogar einen Mord mitansehen konnten und anschließend eine ganz nebensächliche Beobachtung, etwa, daß das Opfer eine Fliege getragen habe, zu Protokoll gaben.
       »Ich habe auf die Nußschalen und die Karten geachtet, aber sie haben mich nicht interessiert«, erwiderte der Knabe trotzig.
       »Und ich habe an deinem Gesicht gesehen, wie gleichgültig sie dir selbst waren. Dir ging es um etwas anderes. Aber das durfte niemand erkennen. Ich habe es trotzdem versucht. Es war ein Experiment!«
       »So so, ein Experiment«, antwortete der Dieb höhnisch.
       »Ein normaler Junge in deinem Alter brüllt hurra, wenn die Perle dort auftaucht, wo man sie nicht erwartet, wenn das Kreuzas hinter seinem Ohr hervorgezogen wird!«
       Theo verschränkte die Arme vor der Brust und sah hinüber zu Birnbaum, der auf der Bank im Hof des Hauses eingenickt war. »Du hast recht, Onkel Schaich, aber ich wollte doch unbedingt die Schalen haben, und deswegen wollte ich dich beeindrucken. Hätte ich gewußt, daß es dich kränkt, würde ich bestimmt hurra! gebrüllt haben.«
       Der Knabe sah mit einem gewissen Unbehagen, wie sich die Stirn Zippersteins in Falten legte und er die Lippen zusammenkniff. Der Dieb schwieg so lange, bis Theo fast Angst bekam, aber mit einem Male setzte Onkel Schaich die allerfreundlichste Miene auf und klopfte dem Knaben versöhnlich auf die Schulter.
       »Ich glaube zwar, du hast mich nur zum besten, mein Junge, aber du bist eine Bereicherung für mich. Ich war böse und habe dir die Schalen deswegen nicht gegeben, aber jetzt sollst du sie haben!«
      
      
       Die leicht aufbrausende Deliah Blühstein schalt Theo und zerrte an ihm herum, und schon im nächsten Augenblick küßte sie den Knaben wieder und badete ihn in Umarmungen. Trotzdem schien es nichts zu geben, was sie mehr interessierte als das Schicksal ihrer Schwestern, die den ganzen Tag nörgelnd durch die Wohnung des Schusters polterten, die weinten, hatte sich ihr Vater nur in den Finger geschnitten, und hysterisch werden konnten, weil ein männlicher Kunde das Geschäft verlassen hatte, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Sie zählten laut und vernehmlich zwanzigmal am Tag die Leisten durch und ordneten sie nach Größen, sie schickten Luda in die Küche und fegten den Laden, bis der Boden glühte, und schrieben auf die Rechnungsblöcke mit solcher Schamhaftigkeit, kassierten das Geld in so unterwürfiger Haltung, daß selbst ein König sich hätte geschmeichelt fühlen müssen – und niemand beachtete sie. Der Junge, den sie ›goldig‹ und ›entzückend‹ fanden, den sie mit Früchten und Pralinen beschenkten, hatte er ihnen nur eine Stunde ruhig zugehört, war verwundert über die Hartnäckigkeit, mit der ihm die drei Grazien versicherten, Männer seien das Unglück dieser Welt, auch seine Mutter habe diese Erkenntnis ja (nur leider zu spät) gewonnen, und darin liege der Grund ihrer ›zuckersüßen‹ Schande.
       Jankel Salomoniak berichtete ihm über die Bestimmung des Menschen, solange er lebe, ausschließlich das Leid zu erforschen und im Tode zu einer glücklichen Verwendung dieser Studien keine Gelegenheit mehr zu haben. Er las

Weitere Kostenlose Bücher