Trojaspiel
Zeichnungen des Jungen füllen bereits zwei bauchige Mappen in dem engen Regal neben seinem Bett, das unter der Last einer vielfältigen Sammlung von Literatur auseinanderzubrechen droht.
Lisa hat die Kleidchen der Gräfinnen Nastasja und Katja Dolgoruki mit Tressen, Litzen und gehäkelten Gimpen versehen, und jetzt tanzt das Schiffchen der Nähmaschine, die ihr Madame Joubert für Überstunden zur Verfügung gestellt hat über den Anzugstoff des Kaufmanns Marazli, im Kreuzstich entstehen Knopflöcher, ein Saum wird eingefaßt und das seidene Futter vernäht.
Es klopft an der Tür.
Der Knabe hört es nicht einmal, so versunken ist er, denn in Gedanken folgt er den Gängen, die vom Vestibül aus bis tief unter die Erde reichen, nicht wie Theaterbesucher in festlicher Garderobe das prunkvolle Gebäude erkunden, sondern wie ein Architekt, der die Weite seiner Vorstellungskraft prüft.
Die Kuppel der Oper und ihre sitzenden Besucher sind so weit entfernt wie Himmel und Erde. Das Publikum klebt in seinen vielen hundert Sesseln. Lisa steht auf und streichelt dem Jungen über den Kopf. Sie wird Ljutov oder Lukin oder Salomoniak nicht hereinbitten, nicht einmal Birnbaum, sie hat noch viel zu tun, und alle ihre Freunde sind geschwätzige Herren ohne Anhang.
Lisa öffnet die Tür und sieht eine zu einem Grinsen erstarrte Grimasse. Ein Schrei entfährt ihr, aber die Hand, die den Blumenstrauß in das Zimmer geworfen hat, liegt schnell auf ihrem Mund. Lisa kann die Tür nicht mehr schließen, ein Fuß stellt sich in den Weg. Mit mächtigem Druck stößt die Hand auf ihrem Gesicht sie rückwärts in den Raum. Wieder schreit die junge Mutter, und dann schlägt der Eindringling sie nieder, noch als sie auf das Bett sinkt, brüllt er sie an. Mit beiden Händen muß er den Jungen abwehren, der sich schlagend und tretend auf ihn gestürzt hat. Neben Theos Gesicht klappt die Klinge eines Messers auf, der fremde Mann hat seine Haare gepackt und fixiert ihn mit wildem Blick.
»Du bist es also«, flüstert der Unhold, während seine Augen blitzschnell die Kammer absuchen.
»Mein Söhnchen. Es wird Zeit, daß wir gehen. Entscheide dich, ob . . .«Die kleinen Fäuste des Jungen schlagen voller Furcht blind nach dem Gesicht des Mannes, bis das Messer die geröteten Wangen schneidet. Der Fremde wirbelt Theo am Arm herum.Er flucht und lacht doch dabei, wie jemand, der einen Hund für seine Dummheit straft. Der Kopf des Jungen schlägt gegen die Tür, und Nacht legt sich über sein Leben.
I n d e r H ö l l e
Als der Knabe erwachte, befand er sich bereits in der Hölle. Kein anderer Ort konnte so dunkel sein, gleichzeitig von so abstoßenden Gerüchen durchdrungen und erfüllt von abscheulichem Geräusch.
Das unappetitliche Grunzen mußte aus dem Rachen des Teufels selbst kommen, der dort in der Tiefe seines Reiches das ewige Martern und Erniedrigen kommentierte.
Am Tisch, von einem geisterhaften Lichtschein in Szene gesetzt, erkannte der Knabe seinen Entführer, der im Auftrag des Gehörnten eine wehrlose Mutter niedergeschlagen und ihn hierher verschleppt hatte.
So verlief also ein Kindsraub in Wirklichkeit.
Verbrecheraugen suchten den Blick des Gefangenen, bohrten, zwinkerten, erforschten drohend sein Gesicht. Ein Flackern, nur ein flacher Schein, bemalte die Fratze des Schurken weiter in angemessenen Rottönen. Benommen von Angst und auch Zorn, brauchte Theo eine Weile, bis er den Ofen entdeckte, der schief an sein Blechrohr gelehnt mit ein paar Dutzend glühender Augen, dort wo eine durchrostete Luke saß, in den Raum strahlte. Die feinen Lichtbahnen hatten das Antlitz des hockenden Mannes auf seinem Stuhl eingefärbt und malten, den Bewegungen des Feuers folgend, allmählich die fensterlosen Holzwände der Baracke, ein schwarz umflortes Loch in der Verschalung, aus dem sich das Ofenrohr nach draußen verabschiedete, und schließlich die Konturen einer erhöhten Schlafstätte, auf dem der grunzende Teufel oder ein im Schlaf zitterndes, knurrendes Tier sich zur Ruhe gelegt hatte.
Der spähende Handlanger begann vor sich hin zu brummen, als wäre er von plötzlichen Gedanken überrascht worden, etwas mußte ihn abgelenkt haben. Sein undeutliches Gemurmel kam Theo vor wie ein vor langer
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