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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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Zeit begonnenes Selbstgespräch. Der Fremde führte es nicht anders als ein Wahnsinniger, die Umgebung darüber vergessend. Das Atemgeräusch im Hintergrund des Raumes erklomm als Pfeifen die Tonleiter und mündete in ein Stöhnen.
       »Gib endlich Ruhe, du Vieh!« zischte der Verbrecher am Tisch, den neugierigen Blick wieder auf den Jungen gerichtet. Erst jetzt bemerkte Theo die Fesseln. An Hand- und Fußgelenken schnitten dünne Hanfstricke in seine Haut und wiesen sein wachsendes Entsetzen auch auf das Pochen der Wunde in seiner Wange hin, das er vorher wohl nicht bemerkt hatte. Der Entführer schien die Ohnmacht des Knaben zu genießen, denn er kicherte plötzlich und kreuzte in einer nachäffenden Geste seine Handgelenke.
       Ist das der Ort, an dem ich sterben soll?, fragte sich Theo.
       Was sterben hieß, war Theo der Vorstellung nach vertraut.
      
       Immer wenn er sich zurückgezogen hatte, angelockt von einem schattigen Winkel, dem vertrauten Versteck unter dem Bett seiner Mutter – dem Schlaf, schienen ihm Ruhe, Dunkelheit und das gefühlte Nicht-mehr-gesehen-Werden wie eine geglückte Flucht vor jenem letzten Schrecken, der überall lauerte in der an Armut, Krankheit und Verbrechen reichen Moldavanka.
       Gleichzeitig waren ihm diese geglückten Fluchten immer auch vorgekommen wie der Tod selbst, ein Zustand, in dem die Zumutung des Bewußtseins ein Ende hatte. Man konnte sich laben an diesem Zustand, warum durfte er nicht eines Tages für immer gelten. Nein, wenn er über den Tod nur lange genug nachdachte, fand er ihn nicht wirklich furchterregend.
       Allein sein Vater, glaubte Theo, hätte ihn vor den Gefahren des Räuberviertels und denen des Lebens im allgemeinen bewahren können. Vielleicht sogar vor seiner Schwermut.
       Von Lisa hatte er das Lachen nicht lernen können. Sie baute immer nah am Wasser.
       Birnbaum, der nur unfreiwillig komisch war, wies als Erzieher lieber auf den Ernst des Lebens hin. Das war in Theos Fall aber ganz überflüssig.
       Der Knabe ballte die Fäuste. Noch stärker als die Verzweiflung des Jungen angesichts seiner Lage war Theos Wut. Dieser Schuft hatte es gewagt, seine Mutter zu schlagen. Was war mit ihr geschehen? Theo spürte Tränen, es gelang ihm, wenn er seine Erinnerung prüfte, nicht, auszuschließen, daß sie ermordet worden war.
       Er würde trotzdem nichts sagen, nie reden mit diesem Mann. Ein Gauner wie Zipperstein, jemand, der Selbstgespräche führte, würde von sich aus zu erzählen beginnen. Sie sprachen, weil sie insgeheim voller Furcht waren, gefaßt zu werden, weil sie in jeder Stille ihre Verfolger erlauschten und es nicht schweigend ertragen konnten. Und weil sie eitel waren. Durch sein Schweigen würde er dem Entführer alles entlocken. Was aus Lisa, aus Birnbaum und der Stummstraße Nummer 9 geworden war. Man würde dort sicherlich bereits nach ihm suchen.
       Warum aber war er hierhergebracht worden? Ein Räuber oder einfacher Dieb tat so etwas nicht. Nein, Lisa konnte gar nicht tot sein, warum hätte sie sterben sollen, niemand im ganzen Viertel besaß genug Geld, glaubte Theo, um eine solche Tat lohnenswert zu machen. Und wäre dieser Fremde doch zum Mörder an seiner Mutter geworden, hätte er auch ihren Sohn erschlagen, ihn jedenfalls nicht mitgenommen und sich der größeren Gefahr der Entdeckung ausgesetzt.
       Theo spürte seine Fesseln kaum noch und hatte den Spalt in seiner Wange schon wieder vergessen. Das Verlangen, seinen Peiniger anzureden, mußte er fast gewaltsam unterdrücken. Er wollte den glotzenden Mann am Tisch herausfordern und ihm beweisen, auch als Kind nicht wehrlos zu sein. Solange der Fremde hier bei ihm säße, würde er Lisa und Birnbaum nichts antun können. Ihnen mußten seine Pläne doch gelten, denn er, Theo, war doch nur ein noch nicht einmal schulpflichtiges Kind.
       Das Bild der im Türrahmen stürzenden Mutter drängte in seine Gedanken, gefolgt vom gebeugten Rücken des Rabbiners, der ihn an der Hand durch die Straßen führte. Birnbaum, wie er den Kopf neigte, um ihn mit einer um Verzeihung bittenden Miene aufzuheitern, weil die üblichen Augenzeugen zu laut flüsterten, hinter vorgehaltenen Händen oder rücksichtslos anklagend ihre Verdachtsmomente vortrugen. Ohne zu begreifen, was das heißen mochte, sich jedoch an der Kraft dieses Gedankens aufrichtend, beschloß der Knabe, den Verbrecher, der dort am Tisch kauerte, zu töten. Für das, was er bereits getan hatte oder

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