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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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hatte, während ihn sein Spießgeselle am Tisch dort (eine flüchtige Arrestbekanntschaft, die anläßlich einer Würfelrunde im Gambrinus aufgefrischt worden war) pläneschmiedend bewirtet hatte, war ehrlich und hilfreich gewesen und ließ deswegen keine Gewissensbisse zu, auch wenn sie auf reinem Aberglauben fußte. Sie lenkte auch noch ab, als seine Bekanntschaft mit diesem Wassilev hier in einem ganz ähnlichen Bretterverschlag am alten Bahnhof vertieft worden war, bei ein wenig betrunkener Gymnastik mit zwei minderjährigen Tscherkessinnen. Sie hatte also eine ganze Weile vorgehalten. Bis jetzt. So war das nun einmal. Ein orthodoxer Trinker glaubte an Erscheinungen, Tiere, die wer weiß woher plötzlich das Sprechen erlernt hatten, mit der Überzeugungskraft eines Popen Ratschläge erteilten oder selbstherrlich dummes Zeug auftischten. Manchmal bewegten sich Dinge im Raum, gegen alle physikalischen Gesetze, und das Handtuch über dem Abort, neben dem man aufwachte, hatte plötzlich eine Seele bekommen. Wie war das möglich? Wieso strahlte dieser Junge jetzt lieblich wie ein Mädchen, die Augen groß auf ihn gerichtet, und doch ohne alle Hoffnung? Warum drang die Gegenwart dieses klaglos gefesselten Knaben auf einmal direkt in sein Herz? Und wieso wechselten die Erscheinungen, denn eigentlich war doch die Geburt des Knaben der Beginn seines Unglücks gewesen, ja, seine Frau hatte diesen ungewöhnlichsten aller Knirpse auf die Welt geholt und in derselben Nacht sein Leben beendet. Das Gefängnis war an ihm hängengeblieben, die Strafe für den sogenannten Versuch, seine geliebte Sonja – er hatte sie auf seine Weise immer geliebt – zu vergiften. Diesen Unfug hatte man ihm vorgeworfen und damit sein Leben ruiniert. Alles nur ein Versehen, hatte sie vor Gericht gesagt – vielleicht war ja auch der Alkohol sein eigentlicher Sündenfall, und alle diejenigen, die von seinem schlechten Charakter sprachen, irrten sich. Kotusov fühlte keine Reue und fühlte sich nicht schuldig. Trotzdem, wenigstens solange wie Wassilev hier im Raum saß – diesem Scheinheiligen traute er nicht über den Weg, hätte ihn zusammengeschlagen, wenn er nur rechtzeitig entschlossen genug gewesen wäre –, würde er dem Knaben mit Kälte begegnen, ihn zwar nicht prügeln, aber sich nicht im geringsten um ihn kümmern. Denn Wassilev hatte Geld, viel Geld versprochen. Es blieb ihm keine Wahl, eine Zukunft gab es nicht mehr, es war nur gerecht, daß der Knabe ihn am Leben erhalten würde. Aber konnte er sicher sein? Auf seinen Spießgesellen dort war kein Verlaß, das Leben würde ihn vielleicht doppelt bestrafen, denn es war doch immer wie eine Falle in einer Falle . . .
      
      
       Die Karriere des Herrn Kotusov hatte tatsächlich an jenem Datum, an dem das Wunder von Theos Geburt in der Moldavanka geschah, einen markanten Knick erlitten. Es hatte sich gut angelassen zunächst, kein Tag wie jeder andere, in der Nacht zuvor einen Fuhrknecht, zwei Friseure und einen vorlauten Juden aufgemischt, und selbst nichts abbekommen. Die Hurrarufe alter Freunde im Kreuz, war es nicht notwendig gewesen, alles Geld für Stimmungsgetränke anzulegen. Sein Weg nach Hause erfolgte zunächst schwebend auf einer Wolke warmen Selbstgefühls, im Rausch war dieser Komfort selten. Aber keine Sekunde bedauerte der Heimkehrer, am Ende doch noch zusammen mit anderen Weggefährten bei Vernik eingekehrt zu sein – das ihm entgegenschlagende Hallo, solange er noch bei Kasse war, konnte man ohrenbetäubend nennen. Keine Reue auch, weil er sich Sonja auf seinen letzten Metern bis zum Haustor, er legte sie aus reinem Übermut auf allen vieren zurück, in ihrem grünen von gestickten Oleanderblüten geschmückten Nachthemd vorgestellt hatte, das ihn in der Perspektive des Hundes, die ihm zunehmend gefiel, zu einem seit langem wieder fälligen Versuch in gewisser Richtung animierte. Schnüffelnd, die Zunge reckend, würde er sich ihrem bebenden Saum nähern. So ungefähr stellte er sich den Jux vor, eine komödiantische Improvisation, Tarnung im wahrscheinlichen Falle seines Versagens, kein Drama auf dem Laken, sie müßte ihn nicht verachten, er würde sie nicht schlagen, alles blieb Phantasie.
       Aber schon auf dem ersten Absatz des Stiegenhauses wurde dem Hund schlecht. Er hatte eine seiner kräftigen Vorderpfoten, bedingt durch Tunnelblick und mangelhafte Beleuchtung, in eine Blechschüssel mit benutzten Windeln gesetzt, die Lena Rudenka, geruchssensible

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