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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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»Ich habe schon viel mehr getrunken als das!« nicht weil er wie immer durch Trinkfestigkeit und Körperkraft imponieren wollte, sondern weil diese drei Herren angetan mit weißen Kragen ihre Lebensgewohnheiten und ihn verleugnet und seinen Zorn erregt hatten und er die Dummheit, ihr regelmäßiger Zahlmeister gewesen zu sein, nicht eingestehen wollte.
       Die Hoffnung seines Anwaltes (den die Armenkasse bezahlte), die wahrscheinliche Unzurechnungsfähigkeit des Mandanten ins Feld zu führen, zerschlug sich. Auch die technischen Fragen der Tat wurden nicht ausgebreitet. Niemanden verlangte es außerdem zu wissen, warum ein stadtbekannter Schläger der erste Mann in der odessitischen Rechtschronik sein sollte, der seine Frau mit Ammoniak vergiften wollte. Gift, wußte die Statistik, benutzten Frauen, und zwar meistens, um sich selbst zu schädigen. Herr Kotusov argumentierte übrigens in die gleiche Richtung, aber erreichte nicht den gewünschten Effekt.
       »Ich meine Sonja vergiften?« brüllte er den Staatsanwalt an.
       »Erschlagen hätt ich sie!«
       Für das Gericht waren alle wesentlichen Punkte längst geklärt. Den wichtigsten, ob der Angeklagte nämlich irgendwie als Ehrenmann, als rechtsfähiges Wesen, als respektables Mitglied der menschlichen Gesellschaft erscheinen und damit für mildernde Umstände oder ein ausführlicheres juristisches Augenmerk überhaupt in Frage kommen konnte, hatte Herr Kotusov selbst zu seinen Ungunsten entschieden. Man war, eingedenk seiner Erscheinung und seiner Manieren, davon überzeugt, Kotusov sei ein Asozialer, den von anständigen Menschen fernzuhalten eine dringende Pflicht wäre. Der Richter hätte nur zu gerne die Hälfte der Stadt zu Kotusov in die Ketten gesellt, nur weil sie kragenlos war und den strengen Geruch der Armut in ihren Kleidern trug.
       Sonjas Herz war so groß, Mitja zu bedauern. Sie weinte während der Verhandlung vor sich hin, machte keine Anstalten, den Angeklagten zu belasten und blieb in ihrer Aussage bei der Wahrheit, ohne die Tatsachen auszusprechen: Sie könne sich nicht vorstellen, daß ihr Ehemann sie habe vergiften wollen. Er löse Probleme auf andere Art, fuhr sie fort, während Herr Kotusov wie zum Beweis drohend die Faust gegen sie schüttelte. Nicht durch Mord, hatte sie sagen wollen, sondern durch Alkohol, aber diese Präzisierung ging schon im Wirtshausgelächter des Gerichtssaals unter. Sie halte alles, so endete sie, und meinte damit eigentlich ihre Ehe, einfach nur für ein großes Versehen.
       Der Staatsanwalt, dem die etwas blasse Zeugin im Verhältnis zu seinem Angeklagten zuwenig Pfeffer besaß, würzte im Plädoyer mit Versen nach, die für die schlichtesten der berichtenden Revolverblätter vorformuliert waren: ›. . . von der Wiege in die Arme eines Mörders . . . die Frau, die Leben schenkte, vom Tod bedroht . . . aus falschem Edelmut noch immer treu ergeben . . . die Gesellschaft aber muß sich befreien . . .‹ und so weiter.
       Der Richter machte im Namen des Zaren den Mord zum Totschlagsversuch und verordnete acht Jahre Zwangsarbeit in Ketten. Frau Kotusova kämpfte mit einem spontanen moralischen Schwindel, blieb aber standhaft, wenn auch bleicher als der eigentlich Betroffene, dem der rote Schädel zu explodieren drohte. Man schmückte ihn daher gleich mit den versprochenen Fesseln und führte ihn vier Mann hoch ab. All diese Vorfälle und ihre fünfunddreißigjährige Vorgeschichte, komprimiert, durchlitten und durchdacht in einem staatlichen Steinbruch, bildeten den abergläubischen Grund einer von Herzen kommenden Feindseligkeit gegenüber Theo Lanaiev.
       Was am Tage der Geburt des Knaben und seines persönlichen Untergangs tatsächlich, von ihm unbemerkt, geschehen war, das hatte Kotusov sich nie erklären können, die losen Fakten, soweit sie ihm bekannt waren, legte er sich unterstützt von teilnahmsvollen Mitgefangenen zu wechselnden Variationen einer Verschwörungstheorie zurecht, in deren Mittelpunkt die Juden der Stummstraße 9 standen. Was er wirklich glauben sollte, wußte Kotusov nicht. Er verprügelte jedoch jeden, der die naheliegende Vermutung äußerte, Sonja habe sich in kritischer Würdigung ihrer Ehe das Leben nehmen wollen.
       Auch in dieser Kammer, den milchgesichtigen Jungen vor Augen, der so wenig als Sündenbock geeignet zu sein schien, schwärzte jene aufsässige Variante seine Stimmung, denn je mehr er seine Situation bedachte und die wenig aussichtsreichen Folgen

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