Trojaspiel
sicher wie eine Kugel seine Bahn laufen, im Schafspelz die Kälte und Feuchtigkeit nicht fürchten, schnell, schon nach einem kurzen Wettlauf mit seiner Angst, einen sicheren Ausgang finden.
So begann er seinen Weg unter der Stadt.
Aber weil die Naturgesetze aufgehoben waren, herrschten die Dämonen über die Welt.
Hier und da, Theo hatte bereits einige Zeit in der Hölle hinter sich, wo es nicht heiß wurde, sondern klammkalt blieb, so feucht, daß schon nach zwei Stunden sein Schafsfell durchnäßt war, die Schuhe glitschten und schlappten und ihm Hose und Hemd sumpfig an die Glieder griffen. Hier und da, Theo hatte sich gerade durch eine schlammige Öffnung gezwängt, war einen Abhang metertief heruntergerutscht, hatte einen Aufstieg genommen, bemühte sich, immer schnell zu laufen, mit den Händen voraustastend, warm werdend, nur die Rechenmaschine im Kopf Funken schlagen lassend, aber sonst nicht nachdenkend. Hier und da fiel ein spärlicher Lichtschein auf seinen Weg. Er stemmte sich dann einem Schacht in den Hals, kroch in ein Fuchsloch, trat sich einen Weg durch klammerndes Geröll und stieß am Ende jedesmal auf unüberwindliche Planken, Bretter, sogar frisch blakende Bohlen, die den Ausgang versperrten. Er glaubte, über dem kalten Muschelkalk und gedämpft von zusammengebrochener Ordnung, Menschen lärmen zu hören, das heisere Knistern von Flammen, Schüsse, und er hatte den abkühlenden Rauch eines Feuers in der Nase.
Schlimm war es am Kathedralenplatz, dort, wo über ihm Rasen und Bänke vom Frieden des Parks sprechen wollten, hörte er Hufe schlagen und ganze Hundertschaften von Stiefeln in den spritzenden Sand hacken. Die Häuserwände der Sophienstraße bellten sich eben aufgeschnappte Salven und Granatexplosionen zu, vielstimmiger pfiff sich überschlagendes Gejohle, Gewimmer und Geschrei hin und her. Nur, daß er vielleicht träumte, ihm die Geister vielleicht einen Streich spielten, ihn träumend bei Bewußtsein halten wollten, um ihn munter weiter voranzutreiben.
Unterhalb der Koblevskajastraße hatte Theo mit steifen, vor Kälte zitternden Finger die Dose geöffnet, weil er hoffte, in ihr etwas zu finden, was ihn an seine Mutter erinnern würde. Auf einem hohen Balken saß er dabei unterhalb der hölzernen Plattform, die ein wenig Licht durchließ, ihm aber den Weg in die Freiheit nicht erlauben wollte. Er hielt, kurze Zeit nur, zwei Briefbündel in der Hand, brachte es noch fertig, die Schleifen, mit denen sie geschnürt waren, zu lösen und zwei Handschriften zu unterscheiden, von denen die eine sicher seiner Mutter gehörte. Dann ließ er, weil oberhalb eine Granate explodierte oder weil er am Boden der Dose eine Fotografie entdeckte, auf der ein Mann abgebildet war, Dose und Inhalt vor Schreck fallen. Sprang dem Schatz, der Wassilevs Glück hätte machen sollen, hinterher, wühlte zunehmend verzweifelt in der mit Regenwasser gefüllten Grube am Boden des Schachtes, fand Reste, die sich nicht säubern lassen wollten, erkannte die Flüchtigkeit von Tinte unter Tränen, legte letzte Fragmente einer Liebe in die Dose zurück, fand am Ende durchweichten, schlammigen Karton und stellte fest, daß seines Vaters Sprache und Gesicht für immer verloren waren.
Vorsichtig, fast blind, tritt Theo dann schließlich doch wie in einem Märchen in mattes Licht und um eine Ecke, die dort seit Jahren auf ihn gewartet haben mußte, findet einen Keller, wie ihn die Ruine in der Meeruferstraße nicht mehr zu bieten hatte. Eine offene Bodenluke lockt in ein mit Brettern vernageltes Geschäftslokal, in dem es, denkt man sich die Verwüstung weg, nach Tuchwaren aussieht. Theo zurrt die Dose, die schwerer und wertloser geworden ist, unter seinem Hemd fest, will die aufgebrochene, in den Angeln stöhnende Ladentür erreichen, vor der es nicht gut klingt, hört eine Stimme, weicht zurück und gelangt in eine angrenzende Kammer. Mit schmerzenden Augen taucht sein Kopf in einen Türrahmen, er sieht verschwommen auf zerwühlter Bettstatt den nackten, wenngleich schon kalten Rücken eines Mädchens, eingeschlafen, das Lager gerahmt von weiteren Schlafenden, solchen, die, obwohl es längst Tag ist, nicht mehr aufwachen wollen. Ein Mann kniet dazwischen, an Händen und Gesicht rot bemalt. Er zeigt eine Messerklinge, lallt verschwörerisch etwas zu dem weißblonden Augenzeugen. Dieser wankt und fällt, träumt weiter, obwohl es auf der Straße schon heller Tag ist und Fronten
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