Trojaspiel
notwendig sagenhaft.
Wassilev war gebildet genug, die Gruselmärchen über die Unterwelt Odessas für das in einer Hafenstadt übliche Seemannsgarn zu halten.Trotzdem hatte er den riesigen Keller nur zweimal aufgesucht. Das erste Mal aus Neugier, denn Berdjajev, so hieß der kurzgewachsene Schmuggler, wollte vor dem Frauenhelden mit seiner Verbindung in die Unterwelt prahlen. Ein zweites Mal in zaghafterem Schritt, als er das ihm vom Nachbarn hinterlassene Diebesversteck als Vermächtnis antreten wollte. Genauso war vor Jahr und Tag Berdjajev, den es ins Osmanische Reich gezogen hatte, durch Erbschaft von einem Dieb, der sich selbst und damit sozusagen seinen Job an den Nagel gehängt hatte, zu seinem Kellerversteck gekommen. Der Erblasser persönlich überredete Wassilevs Nachbarn, um des besseren Verdienstes willen umzusatteln, von Schmuggelware, die man bequem im Freihafen entsorgen konnte, auf Diebesgut, das zwischengelagert werden mußte, bevor sich der geeignete Hehler fand.
Der Keller also reichte schon immer weit wie die Hölle selbst und hatte doch während der Blütezeit des Hauses eingangs nur die üblichen Kompottgläser auf Stellagen, Kartoffeln, Rüben und Zwiebeln in Kisten und Körben zu bieten sowie ein paar wertvollere Lebensmittel, etwa Butter, Käse, Fleisch und Wurst, denen das herrschende Kleinklima zuträglich war und die zum Schutz vor heimlichen Nagern, die bekanntlich jede Umwelt ertragen, auf schwingenden Planken an Drähten von der Decke baumelten.
So war für die sich anschließende Unterwelt einmal charakteristisch gewesen, daß ihr Eingang nicht wie die des Scheols im alten Testament mit einer vorwärts wie rückwärts abweisenden Steinplatte, sondern nur mit freundlichem Pappelholz verschlossen war, und daß sie einen Schleusenbereich besaß, der zwar nicht nach Manna, aber nach den schmackhaften Produkten der südrussischen Land- und Viehwirtschaft duftete.
Während die Bürger der Hafenstadt sich am Inhalt von Nicolais Rede so erhitzten, daß sie am liebsten die ganze Stadt brennen sehen wollten, betrachteten also Kotusov und Wassilev eine Ruine, die dies nicht mehr schrecken konnte. Theo aber hatte ein Muster vor Augen, das verknüpft mit Zahlen in seinem Kopf zu einem Bild geworden war. Und der Himmel blickte, in Dunkelheit und Sternenlicht getaucht, auf das gleiche Muster wie Theo, sah zusätzlich jedoch Fackelzüge sich hier und da verbreitern, Lichtblumen und Flammenfelder zum Blühen bringen, obwohl der Morgen schon graute. Weil das Feuer als solches zwar die Nacht vertreiben, aber auch das Tageslicht nicht mehr scheuen sollte.
Theos Auftrag war einfach und klar umrissen und daher als Abenteuer eigentlich überschaubar.
Geradeaus sollte er gehen, eine Schneise nutzend, die hauptsächlich Kotusov in die Trümmer des Abbruchhauses geschlagen hatte. Er würde dann zu einer Öffnung im Schutt gelangen, an der sich die Kellertreppe bedauerlicherweise nicht mehr befand, dafür ein rabenschwarzes Loch, das einem schmal gewachsenen Knaben komfortablen Zugang in einen hoffentlich weich gepolsterten Kellerraum bot, in den man sich – so oder so – fallen lassen mußte. Die freundliche Pappelholztür hatte sich, das war von oben zu erkennen, anläßlich des Feuers in Rauch aufgelöst und dabei ein Dunkel freigegeben, das, wenn man während der nächsten hundertfünfzig Meter Wegstrecke ein paar Abzweigungen berücksichtigte und der Fackel die Flamme nicht verging, jedoch nicht weiter bedrohlich wirkte. Schließlich sollte er in besagter Nische die Wand abklopfen, bis es hohl klinge, um dann ein wenig Erde und ein Brett zu entfernen. Dahinter befinde sich eine Keksdose, der Deckel verziert mit einer Emaille des Geschäftshaus der Firma Bernhard Liebmann, Café und Konditorei in Odessa. Die solle er an sich nehmen und dann den Rückweg einschlagen, das mit Kotusovs starkem Arm verbundene Seil ergreifen, dabei die Dose nicht verlieren und die Beförderung ins Rez-de-Chaussee genießen. So schnell wäre das Abenteuer beendet.
Natürlich hatte Theo längst gemerkt, daß gar kein Seil vorhanden war. Wassilev wäre, nachdem er ihm die Dose zugeworfen hätte, vergnügt seiner Wege gegangen und hätte Theo einstweilen einem sicheren Gefängnis überlassen.
Trotzdem tat der Junge, wie ihm geheißen wurde.
Als er jedoch die Blechdose gefunden und unter seinem Pelz verstaut hatte, ging er nicht zum Ausgang zurück, sondern blieb in der Hocke
Weitere Kostenlose Bücher