Trojaspiel
Jugendlicher dort aufeinandertreffen, Saschas unseligen Fahnenwitz wiederholend, dem Zaren Untreue oder Juden den Tod schwörend. Die Gegenseite jedoch will nie mitspielen, Worte, Faustschläge und schließlich Kugeln werden ausgetauscht. Dann zerstreut man sich oder bleibt auf der Straße liegen, schwört aber gegenseitige Rache und wird den Schwur nicht brechen. Theo steht schließlich doch klein und mit nur strichbreiten Augen auf der Petropavlovskaja, das Licht blendet ihn. Nur sechs Straßen weit von seinem Zuhause entfernt, sieht er vertraute Kulissen in Flammen blühen und welken. Die Hitze ist es, die vieles bewältigt: an Häusern und Material in der Form gewöhnlichen Feuers, in den Köpfen der Teilnehmer durch Betäubung, die statt Ekel sich entfaltet, wenn das Blut erst einmal in Strömen fließt. Das eine läßt geschmolzenes Blei, denn die Häuser sterben mit ihren metallenen Beigaben, die andere immer mehr Rot in Rinnsalen dem Straßenverlauf folgen. Man sollte in die eine, möchte in die andere Flüssigkeit nicht hineintreten oder -fallen. Und doch geschieht es, und das Gebrüll geht weiter, liefert in unvergeßlichen Bildern einen vielfachen und gleichzeitigen Beweis für längst bekannte Weisheiten: wie Lachen und Weinen und Lust und Schmerz und Leben und Tod sich nah sind. Und die, an denen es bewiesen wird, haben die Hölle gefunden und brauchen sie nicht mehr ausgemalt bekommen. Und so viehisch haben die, die da leben, noch nie gelebt, und die, die da sterben, sich das Sterben nie vorstellen wollen.
An der Ecke Balkovskaja und Srednaja bläst es ein Knäuel Menschen auseinander, Loyalisten, die den Weg vom Peresyp ins Viertel gefunden haben und darüber von der Herrenrunde zum Mob geworden sind. Was war geschehen? Ein Hund, nicht der vom Knaben Icko, sondern ein deutscher Schäfer, Mitglied eines Polizeireviers und als solcher in Erfüllung seiner Dienstpflicht, wurde noch zubeißend überlistet, läuft getrieben kreuz und quer, man hat ihm ein Zarenportrait an den Schwanz gebunden. Und ein Knabe, Teil der vaterländischen Runde, aber stolz noch auf gar nichts, nur tierlieb, möchte ihn befreien. Ein Schuß löst sich aus dem Karabinerstahl auf einem Dach, von wem auch immer geschickt, macht sich die Kugel auf die Reise, und der junge Held möchte mit beiden Händen den rasch größer werdenden Fleck auf seiner weißen Feiertagshemdbrust vertreiben, versagt aber, geht in die Knie, hält es dort nicht aus und legt sich wie andere vor und neben ihm schlafen, schlafen, schlafen.
Theo, keinen Schritt vorangekommen, sammelt weiter Licht auf seiner Netzhaut, geht jetzt noch ein paar Meter, demonstriert dann aber, trotz des allgemeinen Tatendrangs, Untätigkeit, steckt kindlich ungeschickt seine Hände in die feuchten Hosentaschen, ballt sie dort zu Fäusten, weil ihn der Frost schüttelt und seine Gedanken wie in den Kellern das Weite suchen. Und das Zählen setzt ein, um ihn abzulenken. Bis eine Alte vorbeitaumelt, von links und rechts getreten, er kennt sie vom Markt. Sie zieht einen Gemüsekarren, auf dem frische, noch blutige Verwandtschaft liegt. Theo will immer noch oberhalb weiter, ahnt bereits schlechte Zeiten für die Stummstraße, obwohl an der nächsten Straßenecke zwei Polizisten stehen, er kennt sie vom Fensterbrett her, sah sie dort immer gutmütig rechts-links schwankend die Straße auf und ab patrouillieren. Jetzt wirken sie, der Mode folgend, hemdsärmelig, sie tragen Räuberzivil und ermuntern die Krawallmacher nach Kräften, denn aus dem Chaos, denkt sich der Zar, wird eine höhere Ordnung entstehen. Sie verteilen Adreßlisten jüdischer Mitbürger, sind großzügig mit Wodka, stecken Rubelchen zu, leihen Waffen, werden auch beschenkt und wenden sich gelangweilt, Goldschmuck für die eigene Sammlung sortierend, ab, wenn ein ganz zerschundener, schon hoffnungsloser Fall auf sie zustolpert, bis man ihn zurückzieht zu Frau und Kindern, die sich entblößt auf dem Boden ausgestreckt haben, um zu schlafen, schlafen, schlafen. Die Weise, wie man sich von Volkes Seite der Juden annehme, notiert der Zar für seine geliebte Mutter, nur wenige Jahre, bevor sich das Volk seiner selbst annehmen würde, drücke den Volkszorn aus gegen das revolutionäre Element. Erst trifft es die Juden, formulierte Birnbaum historisch korrekter, alte und neue Höllenbilder deutend, und dann die ganze Welt.
Theo aber beißt es jetzt in den Augen, der Qualm steckt auch in seiner Lunge. Er will
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