Trojaspiel
Ton, während das Faustmännchen im Stechschritt über den Tisch wandert, bis es an seinem Rand und vor Theos Gesicht haltmacht. »Ich bin etwas viel Schlimmeres.«
Und weil immer noch alles möglich war und obwohl nur zwei Finger genügen, doch acht ganze Hände zur Verfügung standen, um seine Flucht zu verhindern, lauschte Theo fasziniert der Stentorstimme, wie er es schon im Keller getan hatte, kämpfte zuletzt gegen die unwiderstehliche Müdigkeit und war alles in allem jenem Schlaf, den die letzten drei Tage so reich der Moldavanka beschert hatten, nicht mehr fern.
»Ich bringe Menschen um, aber nur rein geschäftlich. Lieber bestehle ich sie aus dem gleichen Grund. Sie sind meine Schäflein, die ich schere, mein Acker, von dem ich ernte. Aber gelegentlich muß auch ein Schäflein geschlachtet werden oder der Boden verbrannt. Gern mach ich das von eigener Hand. Aber es muß nicht notwendig so sein. Nur diejenigen, die mich betrügen, sollen wissen, daß ich selbst mir nicht zu schade bin, ihnen das Herz herauszureißen. Wo kämen wir da hin. Diese neue deutsche Lehre, die man jetzt in Petersburg, Moskau und Kiew nachbetet, in gewissen Kreisen, die mir übrigens suspekt sind, sie besagt, daß der Arbeiter dem Gegenstand seiner Arbeit entfremdet wird. Der Arbeiter legt einen Hebel um, wirft einen Motor an, und am Ende ist eine Konservendose entstanden oder ein Nachttopf, zu dem er keinen Bezug mehr hat, weil der Industriearbeiter kein Handwerk ausübt. Aber ich bin Kapitalist und Arbeitssklave zur gleichen Zeit. Ich beherrsche die Produktionsmittel, eine Armee von zwanzigtausend und bin doch wie der einfachste von ihnen bereit, einen Schädel zu zerschmettern, ein Herz zu durchbohren oder den Körper von seinen liebsten Gliedmaßen zu trennen. Wenn es nötig ist. Und deswegen gehört mir die goldene Uhr des Herrn in der Tram, gehört mir der Tresor des Fabrikunternehmers und der Schmuck von Gräfin und Komtesse. Geschäftlich hat mich diese Haltung sehr weit gebracht. Moralisch ist mein Tun mit den Grundsätzen keiner Religion vereinbar. Deswegen bin ich, Mischka Japonchik, mein eigener Herr und muß es sein.
Erwarte also keine Gnade von mir.«
Mit dieser oder einer ähnlichen Erzählung, die er auch für die Herren am Tisch (er sprach in dieser Art regelmäßig), für alle Anwesenden, auch für sich selbst gedacht hatte, wiegte der Räuber den Jungen in den Schlaf.
Die Klinge, träumte dem Jungen, wurde aus dem Tisch gezogen, schwebte an seinem Gesicht vorbei und fand einen Weg unter den gelben Rock des Asiaten, wo sie unauffällig verschwand. Derselbe Herr zog an einer Kette, die eine Uhr aus seiner zimtroten Weste befreite, ticktack pendelte die Uhr an der Kette, bevor ihr Zifferblatt überprüft wurde und sie ebenfalls verschwand, woher sie gekommen war. Jener Mischka, der sich Japanerchen nannte und damit einem verliehenen Spitznamen seine Zustimmung gab, nickte dem breitesten seiner drei Freunde auf der anderen Seite des Tisches zu, dieser erhob sich und gab den Blick auf den hinteren Teil des Raumes frei, wo ein Mann, der die zu Theos Uniformjacke passende Hose trug, fest verbunden mit einem Stuhl saß und aus roten Augenhöhlen ohne Augen auf sein Hemd weinte. Der breite Herr auf dem Weg um den Tisch näherte sich, bis er Theo, wie es einmal Kotusovs Plan gewesen war, aufgehoben und an seine Brust gedrückt hatte, nicht so, als fürchte er geradezu, etwas zerbrechen zu können. Ein letzter Augenaufschlag machte Theo mit weiteren Eigenheiten einer Gesichtslandschaft vertraut, ließ seine Gedanken ins Ungewisse schweifen, wo sie ja auch hingehörten, und entließ den Knaben, endlich, dorthin, wo das Bewußtsein als Zumutung ausgeschlossen war.
D e r K ö n i g
Es vergingen acht Jahre, in denen Herr Japonchik, der mit bürgerlichen Namen Moisei Wolfowitsch Winnizkij hieß, seinen Geschäften nachging und Theo zu seinem Assistenten, vielleicht zu mehr als das machte. Das alles vollzog sich langsam und allmählich, wie es die Entwicklung eines Knaben vorsieht, der mit Kastanienmännchen spielt und am Ende doch ein Rasiermesser gebrauchen muß.
Ohne seinen Verstand in Abrede zu stellen, kann man von Theo jedoch sagen, daß er an Herz und Seele oder im Kern der gleiche blieb, so wie das
Weitere Kostenlose Bücher