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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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erheiternde, leider nicht rührende Wirkung hat. Fast schwatzhaft könnte man Theo nennen, dem das Fieber und Mangel an Gesellschaft in den letzten Tagen die Zunge gelöst hat. Nur zögerlich stellt der Junge, zu dessen Gaben die genaue Beobachtung gehört, nebenher auch einige Betrachtungen an, kommt auf die Mißverhältnisse, die zwischen den rohen Gesichtern der Herren am Tisch und ihrer geckenhaften Garderobe liegen. Er zählt mehr Goldkettchen, Perlennadeln und Achatknöpfe, grellere Farben und augenfälligere Muster, als für den Sohn einer Modistin seriöse Bekleidung haben darf, und erkennt in Gesichtern, die ja als Landschaften so beredsam sind wie keine Natur, Hautblüten, wie sie nur das Leben oder der Charakter treibt, und fühlt sich am Ende, einen Reim machend, an seinen Freund, den Kartenkünstler Zipperstein, erinnert, den er doch, wenigstens in seinem näheren Umkreis, immer für unvergleichlich gehalten hatte. Als der Junge die Stummstraße 9 erwähnt, seine Mutter und den alten Birnbaum, denen er zurückgebracht werden möchte, verzieht man das Gesicht bei Tisch. Die Stentorstimme schickt kurze Blicke in die Runde, ein knappes Schweigen wirkt andachtsvoll, aber für Theo nicht verräterisch. Der Mann mit den hohen Wangenknochen und den geschlitzten Augen ist bis zur Ungläubigkeit gefesselt von der Reise, die Theo an der Küste beginnend bis in die Moldavanka geführt hat. Immer wieder will er wissen, wie man so eine Reise planen und durchführen kann, erhält aber von Theo, dem ein Plan, wie ihn die Stentorstimme meint, nicht bewußt ist, nur unbefriedigende Antworten: Man muß die Schritte zählen, rechnen und übertragen, vor Geistern fliehen und sie jagen, die Möglichkeiten nutzen, die sich bieten, wenn Naturgesetze aufgehoben sind. Erst als der Mann sicher ist, daß da kein Plan sein kann, daß Theo kein Spitzel und auch kein Schaf ist, sondern nur ein vom Zufall hereingespülter Überlebender, spricht er Worte, so beiläufig das eine Stentorstimme tun kann, die Theo ein Leben lang nicht verlassen wollen.
       »Es gibt keinen Ort, an den du zurückkehren kannst. Nummer 9 besteht aus Stein und Asche. Niemand hat es überlebt.« Theo bringt es nicht übers Herz, das Nichts, das unterhalb seines Stuhls Raum gewinnt und ihn wie der Nachtschreck hungrig gähnend ansieht, ernst zu nehmen. Es will ihm nicht einleuchten, daß alles möglich sein und doch eine Reise unter der Erde von der Küste bis nach Hause so enden soll. »Nein«, haucht er und sieht die drei Männer an, denen er jetzt den Mut zutrauen möchte, die überlegene Stentorstimme zu korrigieren. Aber so beredt die Landschaften ihrer Gesichter sind, so schweigsam bleiben sie. Zusätzlich werden Arme vor der Brust verschränkt. Theo, dem es nicht um Erbarmen geht, steht auf und will sich Frost und Fieber aus dem Griff winden, die Tür suchen, auf der Straße mit den Geistern wettlaufen, bis dorthin, wo das Haus steht, wo seine Mutter auf ihn wartet, wo Birnbaum ihn nach dem Aufwachen in den Arm nehmen, Haare und Kummer von der Stirn streichen wird. Zwei Finger reichen, um ihn zurückzuhalten.
       »Wir werden dich nicht gehen lassen«, sagt die Theaterstimme sachlich. »Ihr seid wohl Diebe«, haucht Theo, »aber ich werde euch nicht verraten. Laßt mich nur gehen. Ich muß nach Hause. Es ist wichtig.«
      
       »Nein«, bestätigt der asiatisch aussehende Mann dem Jungen, »du wirst uns nicht verraten.« Die modischen Herren am Tisch verleihen ihrer Heiterkeit Ausdruck. Von irgendwoher aus der Luft fährt ein Dolch krachend in den Tisch, nicht unweit von Theos Augen. Gesichter spiegelnd wippt die Klinge im Holz, und der Affenkopf am Ende des Heftes aus bläulichem Horn lacht dazu.
       »Weißt du, wer ich bin?« fragt die Stentorstimme. »Ja«, erwidert der Junge leise, ohne den mittlerweile gesenkten Kopf zu heben. »Und?« eine Faust schlägt auf den Tisch, läßt die Klinge federn, nicht unweit von Theos Gesicht. »Sie sind ein Dieb«, flüstert der Junge mit zitternder Stimme. Rauhes Lachen fährt aus den gestärkten Hemdbrüsten der übrigen Männer am Tisch. »Maul halten«, sagt der asiatische Mann bedrohlich, und sofort ist es wieder so still, daß jenes nur symbolisch flackernde Feuer und die wippende Klinge Angst einflößen können.
       Die Faust auf dem Tisch öffnet sich und beginnt wie zum Spaß auf Zeige und Mittelfinger umherzulaufen. Theo hebt den fiebernden Kopf. »Nein«, sagt der Mann jetzt im flüsternden

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