Trojaspiel
Japanerchen auch, beide blieben sich treu, und wer erwartet, daß verwandte Seelen zueinanderfanden oder der Stärkere den Schwächeren zu sich hinauf oder hinabzog, den, nur den, muß die weitere Geschichte des Baumeisters enttäuschen.
Theo fiel zunächst einer namenlosen Krankheit anheim und lag drei Wochen im Bett. Aber das Fieber änderte nichts. Er wachte auf, und seine Lage hatte sich nicht gebessert. Birnbaum, der jener Feuersbrunst und dem Zorn gegen das revolutionäre Element entgangen und keineswegs tot war, hatte bald erfahren, wo und unter wessen Obhut sein Schüler hospitierte. Da er aus verschiedensten Gründen nicht zur Polizei gehen konnte und wollte, da es auch ein paar persönliche Probleme gab, da die Stummstraße Nummer 9 nur noch ein schwärzlicher Haufen rußbeschatteter Steine und versengter Balken war, da er außerdem wußte, daß die teuersten Ärzte, die man in der Moldavanka finden konnte, an Theos Gesundung ihr Geld verdienten, unternahm er zunächst nichts, obwohl er täglich darüber grübelte, wie das klügstenfalls zu ändern wäre. Birnbaum hatte keine Rechte an Theo. Er hätte nicht für ihn sorgen können, er konnte es ja kaum für sich selbst. Und er wußte den Jungen in der Nachbarschaft von vielen ihm vertrauensvoll mitteilenden Augen beobachtet besser aufgehoben als in einem nichtjüdischen Waisenhaus, in dem er keine Gewährsmänner hatte und ein Junge wie Theo keine Zukunft.
Wenn der Räuber, zunächst ganz aus der Ferne, ohne den Knaben auch nur zu sehen, für Theo Sorge trug, so tat er das nicht aus Nächstenliebe. Ein General, der eine Armee von zwanzigtausend Mann befehligte, hatte für viele Menschen eine Verwendung, war sich aber über den Zweck des einzelnen, der vielleicht nur eine Zeitlang mit durchgeschleppt wurde, nicht immer im klaren. Obgleich Theos Wohltäter das Ende der Stummstraße 9 als Brandruine zutreffend geschildert hatte, war ihm das Schicksal ihrer Bewohner nicht wirklich bekannt gewesen. Theatralisch und Theos Gefühle nicht achtend hatte er sie kurzerhand in den Tod geschickt, weil das für den Moment in seine Pläne paßte. Noch Monate nach dem Oktoberpogrom gab es Vermißte, und die tatsächliche Zahl der Toten blieb für immer strittig. Mischka fühlte deswegen getreu seiner Selbstbeschreibung kein schlechtes Gewissen, hatte doch nicht einmal gelogen, sondern, wie er selbst fand, nur schlecht geschätzt. Erst bei einem routinemäßigen Durchzählen der Verluste in den eigenen Reihen, erst ein paar Wochen später erfuhr er von Zipperstein, daß er übertrieben hatte. Der Dieb bestätigte Theos Erzählung und dankte Mischka im Namen lebender und verblichener Anwohner der Stummstraße 9 für die Rettung des Jungen.
An einem Abend im Restaurant, dem vom Japanerchen unterhaltenen, auf das Japanerchen hörenden und Mischkas Ruhm und Ehre in die Welt hinaustragenden Künstlerlokal Monte Carlo , stand Zipperstein, verlegen den Rand seiner Mütze knetend, vor dem Stammtisch des Räuberhauptmanns. Er beobachtete nur scheinbar desinteressiert, wie Ljutov, der ebenfalls noch sehr lebendig aussah, in ein Notizbuch kritzelte, während Mischka sich mit Sascha Krasnoglaz, dem Rotäugigen, unterhielt, jenem breiten Herrn, auf dessen Armen Theo in den Schlaf gefunden hatte. Ljutov blickte kurz auf und nickte Zipperstein hochnäsig zu. Es war ihm nicht peinlich, in Mischkas Gesellschaft angetroffen zu werden. Der Journalist und Autor hatte schon für schlechtere, wenigstens schlechter zahlende Auftraggeber gearbeitet. Das, was er ›den Kontakt zur Straße halten‹ nannte, war eine gelegentliche dichterische, trotzdem gut entlohnte Tätigkeit für Japonchik, der einige der hier im Lokal anwesenden Künstler auf sein Fingerschnippen hin nachgingen, wenn Mischka glaubte, zuwenig öffentliche Beachtung gefunden zu haben. Für Ljutov aber ging es dabei nicht nur ums Geld. Niemand war wie er berufen, für die Presse Überfälle, Schießereien, selbst die schlichten Straßenschlachten zwischen der jüdischen Selbstverteidigung und den niemals müden Pogromschiks so plastisch, en detail, so atmosphärisch dicht und stilbildend für nacheifernde Kollegen ins Bild zu setzen. Genauer als die von Banausen verfaßten Polizeiberichte, wußte er selbst Krawattenfarben und Anzugschnitt der beteiligten Banditen zu nennen, gab die männlich knappen Dialoge ihres Handwerks naturalistisch wieder und war auch bei der Beschreibung von Waffen, verschossenen
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