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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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Kalibern und nicht zuletzt in der Frage von Beute und Sachschaden genauer, als die Opfer selbst oft sein wollten. Das alles hatte er Mischka zu verdanken.
       An jenem Abend aber war des Soldaten Zippersteins Absicht, den General vertraulich nach Theos Befinden zu fragen, ein Wiedersehen zu erbitten, um mit dem Knaben, vielleicht in den nächsten Tagen, wenn es recht wäre, einen Spaziergang zu unternehmen, ein Eis zu essen und ihm zu der Wahl seines augenblicklichen Gönners Glückwünsche auszusprechen. Tatsächlich hatte Birnbaum ihn gebeten oder ihn angefleht, Theo zu ihm zu führen. Zipperstein war nur bereit, diesen Auftrag anzunehmen, weil Birnbaum gedroht hatte, andernfalls für ›Unruhe‹ im Künstlerlokal zu sorgen. Daß ausgerechnet Ljutov am Tisch saß, dessen frechem Mundwerk man selten gewachsen war, machte diesen heiklen Auftrag für Zipperstein nicht angenehmer, wenngleich der gutgelaunte General dem nervösen Dieb und seiner leidenden Mütze bislang nicht einmal geringste Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Nach etwa einer halben Stunde, er war durstig geworden und die Füße schmerzten ihm bereits, wich Zipperstein schließlich, die Mütze wollte schon in seine Faust passen, wie eine alberne Hofschranze rückwärts in das Lokal zurück, wollte sich still verabschieden und stieß statt dessen gegen einen Tisch, warf dabei ein Glas um und erregte endlich Aufmerksamkeit.
       Mischka sah ihn neugierig an, sprach dabei aber, einen Gedanken fortspinnend zu Ljutov.
       »Manche Journalisten glauben, daß wir das Gegenstück zu den Pogromen sind. Nachts der Pöbel aus der Vorstadt mit Knüppeln, tagsüber wir. Aber das stimmt nicht. Meine Leute kämpfen gegen die Pogromschiks und werden es weiter tun.«
       »Stimmt nicht«, wiederholte der immer knapp formulierende Krasnoglaz etwas mißverständlich, und sowohl Ljutov als auch Zipperstein nickten eifrig, weil das in Mischkas Gesellschaft so üblich war.
       Der Dieb, dem auch das gerade angeschnittene Thema nicht lag, wollte trotzdem das Weite suchen. Da deutete das Japanerchen auf die Kritzeleien Ljutovs, richtete das Wort aber an seinen Untergebenen mit der kläglichen Mütze.
       »Halt, Monsieur, setz dich, ich schreibe gerade ein neues Lied über mich, die Couplets in den Kaffeehäusern sind schon ein wenig abgestanden.«
       Zipperstein beeilte sich, wieder zu nicken, griff nach einer Sitzgelegenheit und plazierte sich etwas schüchtern neben Krasnoglaz, der so hieß, weil er sich weigerte, das bei einer Messerstecherei abhanden gekommene rechte Auge durch eine der im Viertel nachfragebedingt günstig gehandelten Glasmurmeln zu ersetzen. Ljutov hatte heute nicht zum ersten Mal unter der unbescheidenen Vereinnahmung seiner Reimkunst durch Mischka gelitten und stöhnte: »Ich bin aber noch nicht fertig.« Stand auf, war trotz gekränkten Stolzes am Tisch des berühmten Räubers um wenigstens einen Kopf gewachsen und entschuldigte sich mit dem Hinweis, sich die Beine vertreten zu müssen.
       Japonchik sah dem breitbeinig durch das Lokal und zum Ausgang strebenden Künstler stirnrunzelnd nach. Dann streichelte er mit dem Zeigefinger über die Zeilen in Ljutovs Notizblock und las:
       »Arm war ich, der Anzug zerrissen, und doch lachend, ein Lied auf den Lippen, konnte doch jederzeit in die Bank, einen Scheck einlösen, unterschrieben mit meinem Browning . . .« Anerkennendes Nicken bestätigte Mischka, die richtigen Worte gefunden zu haben. Trotzdem war er, zahlreiche Projekte zugleich im Kopf bewegend, wohl nicht ganz bei der Sache.
       »Weißt du, Zipperstein, wenn du schon einmal hier bist – wir bewahren unsere Sore gern im verborgenen auf, dort, wo Menschen, vor allem Polizisten, nur ungern verkehren. Da erzähl ich dir wohl nichts Neues, aber wir haben vor der Stadt in der Nähe der Steinbrüche frische Tunnel gegraben. Zehn Meter hinter dem Eingang sitzen zwei Mann am Maschinengewehr, um unerwünschten Besuch gebührend zu empfangen. Es heißt, die Männer müssen nach zwei Stunden ausgewechselt werden, leiden sonst an Halluzinationen und verbrauchen dabei ganze Magazine. Niemand ist bislang zu Schaden gekommen. Aber ich frage dich, Zipperstein, der du behauptest, diesem blonden Knaben nah wie ein Vater gewesen zu sein. Wie war es möglich, daß er in der Meeruferstraße in die Höhlen spazierte und unter meinem Kamin wieder auftauchte? Vier Tage, behauptet der Knabe, habe die Reise gedauert. Erkläre mir das, Zipperstein, und

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