Trojaspiel
erweise damit unserer Freundschaft einen Dienst.«
Aber der Soldat hatte keine Erklärung parat, erzählte nur vage von Kartenkunststücken und Hütchenspielen, die der Junge wie ein Fachmann mühelos durchschaute, verstieg sich zu ein paar halsbrecherischen Spekulationen über Menschen, die mit anderen Augen in die Welt blickten, als es üblich war, und dabei mehr entdecken konnten, als man gemeinhin annehmen mochte. Für Mischka klang die Rede von Theos engem Freund so verständlich wie die im Fieber gegebenen Berichte von Geisterjagden und aufgehobenen Naturgesetzen.
»Du meinst, der Junge ist verrückt«, fragte er ungeduldig.
»Er ist anders«, antwortete Zipperstein und machte dabei ein recht unschuldiges Gesicht.
Das Japanerchen streichelte wieder über die noch unvollendete Ballade in Ljutovs Aufzeichnungen, Krasnoglaz nutzte die Unterbrechung des Gesprächs, um seine Augenhöhle zu kratzen, und Zipperstein, den ein kurzer Blick auf die feuchte Filzkugel in seiner Hand an den ursprünglichen Zweck seines Besuchs erinnerte, besaß plötzlich einen zweckmäßigen Einfall.
Es wäre allerdings kein Problem für ihn, Genaueres herauszufinden, wenn man ihm Theo eine Weile überließe, prahlte er in seiner oft erprobten Lässigkeit. Mischka, nur scheinbar in das Lied seines Ruhmes vertieft, merkte sofort auf und widmete dem Mützenkneter einen Blick, dem nicht jeder Mann standgehalten hätte. Der Blick war Mißtrauen, auch Drohung und deutete gleichzeitig die Strafe an, die denjenigen erwarten würde, der dem König der Diebe etwas stehlen wollte. Das war ein Verbrechen. Und niemand in der zwanzigtausend Männer zählenden Armee hatte dergleichen je überlebt.
Aber Zippersteins Lässigkeit und auch sein harmlos wirkender Blick hielten stand, und man verabredete sich.
Gemessen an der Geschwindigkeit, mit der Birnbaum, einen versengten Koffer in der Hand schwenkend, in das Balaschevsche Teehaus stürmte, wo er Theo und Zipperstein treffen sollte, konnte die Entführung des Knaben nicht länger als einen Tag zurückzuliegen.
Wie ungerecht die Welt war! Er, Birnbaum, war gezwungen, einen Nebbich von einem Dieb zu bitten, seinen Schüler Theo aus den Händen eines Großverbrechers zu befreien, nur um ein paar ernste, längst überfällige Worte an ihn zu richten! Der Rabbi fühlte eine unerträgliche Kluft zwischen seinem Zorn und der Notwendigkeit, den richtigen Ton zu finden, gegenüber einem Sechsjährigen, der seine Mutter verloren hatte, es womöglich nicht wußte, womöglich gar nichts mehr wußte oder verstand. Der Stiefvater, den Lisa gewählt hatte, um ihre Schande zu verbergen, war der Entführer gewesen, nicht von Zipperstein war das berichtet worden, sondern von der Nichte des Besenbinders Klefner, die (wer arbeitete eigentlich nicht für den Gangster?) Theos fiebersenkende Umschläge gewechselt hatte, im Privatbordell des Japanerchens, über seinem Kino mit dem Namen Elefant gelegen, in dem Zimmer direkt über dem Teil der Fassade, wo ein aus bunter Keramik nachgebildeter Dickhäuter eine Schiffslaterne an seinem obszön gereckten Rüssel präsentierte! Birnbaum vermutete zu Recht, Zipperstein würde sich nicht einmal für eine Minute vor die Tür schicken lassen, aus Angst, Japonchiks Beute zu verlieren, und er beschloß, auch weil er sich schämte, nicht besser auf den Jungen und seine Mutter aufgepaßt zu haben, jede Regung von Wut, jeden mißmutigen Gedanken direkt an Zipperstein abzuleiten, ihn stellvertretend für den alten und den neuen Entführer und das Verbrechen der Moldavanka insgesamt anzuklagen.
Der Junge, ein wenig blasser, ein wenig dünner als zuvor, aber sauber und korrekt gekleidet, lief auf den Rabbi zu und umarmte seinen Bauch.
»Du bist ein Kneipenspucknapf«, herrschte Birnbaum den Dankbarkeit erwartenden Dieb an, während er Theos Kopf streichelte und dabei seine Ohren zuhielt. Dann hob er den Knaben auf den Arm – wie leicht war der Junge geworden! – und setzte sein rührendes Großvaterlächeln auf.
»Mutter ist tot«, flüsterte der Junge, ohne zu weinen. Dafür weinte Birnbaum, wußte gar nicht, wieso und warum, wohl, weil er sich freute und erstaunt über des Knaben Worte, zugleich aber nicht erstaunt war, denn Theo hatte ihn schon immer verblüffen können. Der Dieb trug zwar zur Feier des Wiedersehens einen widerstandfähigeren Hut, hatte den aber zuvor an der Balaschevschen Garderobe hinterlegt und
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