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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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gibt alle Antworten. Ein Junge also, der einen Vater sucht und einen Lehrer, hat es nicht leicht. Was soll man denn auch mit diesen kleinen Taugenichtsen anfangen? Das ist nicht jedermanns Fach. Nun, und wer kümmert sich also um unsere Zukunft, macht aus diesem kleinen bleichen Gesicht, das am Tisch kauert und hungrig in die Welt schaut, einen Gelehrten? Diese Augen, die uns so weich und unnachsichtig anschauen, als gäbe es da den einen oder anderen Vorwurf zu erheben, ich kann sie nicht leiden, ihre Blicke kriechen wie Ameisen über die einfachen Freuden meines Alltages. Ich verscheuche sie also. Und derjenige, bei dem mir das nicht gelingen will, der ist ein Gewächs, das ich nicht erklären kann. Ich begreife ihn nicht, er geht über meine Verhältnisse. Er ist Teil einer Sphäre, die Mischka Japonchik verschlossen ist und die selbst die besten Lehrer nicht erreichen werden. Er hat Schutz nötig. Derjenige, dessen Namen man nicht aussprechen kann, muß sich also auch um diejenigen bemühen, die ihn begleiten. Sie sollten sich wie er Mühe geben, am Leben zu bleiben. Was meinst du, Rabbi? Aber du bist ein kluger Mann und weißt, wann es besser ist zu schweigen. Das ist verständnisvoll. Ich persönlich jedenfalls, ich möchte dir danken . . .
      
      
       Obgleich selbst für Birnbaum, der das Gold wohltätig verwendete und Japonchik in Zukunft etwas leiser schmähte, fortan gesorgt war, waren noch nicht alle Forderungen Theos erfüllt. Was sollte aus Jankel werden?
       Nach erfolglosen Bemühungen, in der legalen Arbeitswelt der Stadt Fuß zu fassen, war er noch eine Spur verzweifelter geworden. Was sollte er nur tun? Jankel konnte Violine spielen (ein bißchen, denn er schämte sich zu üben); er hatte äußerst biegsame Gelenke (als Kind fischte er Münzen aus Gullyspalten, und noch jetzt, wenn er dazu aufgefordert wurde, klappte er einfach seine Arme auf den Rücken, so daß sein Oberkörper aussah, als hätte er nie welche besessen, spielte Blumenvase, mit einem Kopf wie eine welke Anemone, in einer Welt ohne Wasser, ohne Sonne und ohne Gott); Jankel hatte zwar gelesen, weil er Zeit besaß, erinnerte sich aber nur an Bücher, in denen die Helden nach einem qualvollen Weg der Irrtümer am Ende ihres Lebens gescheitert waren und allein, unter Schmerzen und von der Welt ausgelacht starben. Wer wollte einem solchen Menschen Arbeit geben? Der hohle Seilfabrikant Milniker, dem er sich vorstellte, kam zu der Überzeugung, ein Schlimassel wie Salomoniak könne nur Unglück bringen. Und auch daß Jankel in seinem Vorstellungsgespräch sich ausdrücklich nicht selbst empfahl, sondern nur von notwendiger Lebenserhaltung sprach, wirkte sich nicht unbedingt für ihn aus. Der Schuster an der Ecke bekam einen solchen Schreck, als er Salomoniak nur flüchtig ansah, daß er statt der Hinterkappe eines Stiefels seine Fingerkuppe beschnitt. Und Fischbein, der expandieren wollte und vor dessen Brezenkarren am Dreiecksplatz sich Jankel einfand – der heitere gütige Fischbein, der bekannt war für seine rosigen Händchen, mit denen er die Hefekringel, bevor er sie verkaufte, streichelte, als wären sie Pessach-Matzen –, Fischbein begann einfach zu weinen . . .
       Die Geschäftserfahrung Japonchiks jedoch, deren psychologische Grundlagen in den Träumen und Alpträumen seiner Räuberseele verankert waren, wirkte fruchtbar. Mischka ließ seine Hände gestalterisch um das erschrockene Haupt Jankels wandern, eine Idee formen und diese Eingebung ohne Umschweife herausflüstern: »Ein Mensch wie du webt Leichentücher, Salomoniak, er wohnt in einem Haus unter der Erde, um an einem durch Visionen bezeichneten Tag zu erscheinen und die einzige Blume, die weit und breit blüht, zu knicken. Und dann jagt er die Schmetterlinge, die diese Blume gesucht haben, und als er den ersten töten will und in die Luft greift, die Augen weit aufgerissen, brennt ihm die Sonne das Augenlicht heraus, und er stolpert zurück in sein unterirdisches Reich, das er nur für einen Tag verlassen hatte und fortan nicht mehr verlassen wird.«
       Jankel zitterte bei diesen prophetischen Worten, allerdings nicht mehr vor Angst.
       »Pfeif also auf die Gelenke«, sprach Mischka, der seinem Gegenüber viel einfühlsamer vorkam als der Seilfabrikant.
       »Du als Dieb? Lachhaft, ein Klischee, und was für eine Verschwendung! Sie würden es dir ansehen und dich auf frischer Tat ertappt zertreten, so genußvoll, wie sie abends ihren Kragen lösen.

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