Trojaspiel
nicht der Gesamtplan, der, als er im April 1911 vorlag, zwei Konferenztische aus dem Besitz des Konservenkönigs Falz-Fein bedeckte und Mischka beim bloßen Hinsehen schwindelig machte. Das Wunder war, daß dieser Plan in Theos Kopf existierte. In solchen Fällen hätte Mischka gerne auf die vertraute Praxis seines Berufes verzichtet, wäre lieber Nervenarzt oder Anthropologe gewesen oder jemand, wie jener Wiener Professor Freud, der seine eigenen Träume analysiert hatte und Kunden wie im Varieté mittels Hypnose ihre Heimlichkeiten entlocken konnte.
Unbehaglich konnte Mischka bei dem Gedanken werden, sich in einer gewissen Abhängigkeit zu befinden von diesem undurchsichtigen Zwölfjährigen, der keine gleichaltrigen Freunde besaß, sich nur mit seiner Mischpoche traf, um, wie Mischka berichtet wurde, altkluge Gespräche zu führen, aber im übrigen mit einer Besessenheit in die Unterwelt abtauchte, die durch die Entlohnung seiner Arbeit kaum gerechtfertigt war.
Der Knabe vermied engen Kontakt mit den Räubern und ließ weibliche Zuwendung nur von Madame Rubinov zu, die an ihm mit abgöttischer Liebe hing. Sie nannte Theo, diesen Mamser, ›ihren Jungen‹ und sorgte tatsächlich dafür, daß er von den Eisenbrechern und Halsabschneidern des Clans nicht allzu sehr belästigt wurde.
Viele Mitglieder der Bande verehrten den Jungen inzwischen, auch wenn sie es nicht direkt aussprachen, denn die beflügelnde Mär von der Unverwundbarkeit der Japonchik-Organisation und ihrer Soldaten, sie war Theos Werk. Der neue Respekt und die romantisch ausgeschmückte Legende beruhten auf dem Genie eines Knaben, der sich, wenn von Raubzügen geprahlt wurde, die Ohren zuhielt, und als er älter wurde, einfach den Tisch verließ, der die Hofberichterstattung von Ljutov und seinen Kollegen nicht las und gegenüber Mischka im vierten Jahr seiner Arbeit einmal gereizt die Bemerkung fallenließ, er fühle sich nur als Gast und betrachte sein Engagement nach Fertigstellung der Karte als beendet.
Mischka hatte anfänglich noch den Plan erwogen, bei Beendigung dieses Projektes, schon aus Gründen notwendiger Geheimhaltung, auch Theos Leben enden zu lassen. Doch wuchs mit den Jahren seine Verbundenheit und auch die Gewißheit, Theo nicht mehr ohne weiteres aus dem Weg räumen zu können. Ein Massaker wäre notwendig gewesen, das sich auf Theos Mischpoche, sogar einige verdiente Mitarbeiter erstrecken mußte, einschließlich Krasnoglaz und Madame Rubinov. Auch seinen Buchhalter Bulanov hätte Mischka nicht verschonen können. Der war pensionierter Leiter des renommierten Knabengymnasiums und trug für Theos blendende Zeugnisse aus jenem Institut Sorge, das der Junge nie von innen gesehen hatte. Bulanov war auch zuständig für Theos reale Privatausbildung in den Räumen von Mischkas eigener Schule. Jenem Institut, unter dem Elefanten gelegen, in dem auch Zipperstein und andere Meister seines Fachs den Nachwuchs schulten.
Und – doch – Mischka mochte den Jungen mittlerweile. Er vertraute dem Knaben, gerade weil er wie sein Buchhalter kein Räuber war. Er freute sich daran, daß der Knirps, dessen Zurückhaltung man als Nervenstärke auslegte, nur ihm gegenüber bewegliche Gefühle zeigte, schüchtern seine Fragen stellte, sich Rat erbat und gewisse Hinweise über die richtige Garderobe und die Nützlichkeit von Falschnamen oder das Auftreten in der Öffentlichkeit sehr aufmerksam entgegennahm. Der Gast war sehr zutraulich geworden. Auch über Zurechtweisungen von Mischkas Seite beschwerte sich der Junge immer seltener und gab so dem Räuberhauptmann das lästige, aber verdrängte, eines abends sich dann zum Ärgernis auswachsende Gefühl, er sei mit Madame Rubinov verheiratet und Theo sein Sohn.
»Ich bin nicht dein Vater«, schimpfte der Räuber. Mischka hatte den Ärger über seinen von einem der neuen Laternenpfähle auf der Bazarstraße verbeulten Hispano-Suiza mit reichlich Wodka begossen und bereits Herrn Gelfermann und seinen Fahrer in die Bewußtlosigkeit geprügelt.
»Nenn mich nicht Vater, ein Geschenk der Engel ist dein Leben hier! Du machst dir deine Eltern selber, den Vater und die Mutter! Und wenn du willst, schlitzt du ihnen die Kehle auf! Monsieur, du mußt lernen, dem Schicksal zu vertrauen, das dich aus einem schäbigen Bett in der Moldavanka in das Paradies eines freien Lebens hier im Elefanten geführt hat. Mit Gold und Diamanten behäng ich dich, ehe ich dein Vater werde! Und«
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