Trojaspiel
unversorgt bleibenden Kinder nicht aufgegeben hätte. Und dein Tatwerkzeug fiel vor aller Augen aus deiner heiligen Mütze. Ich fürchte, du bist ein schlimmer Verbrecher, Kniker, du hast uns alle getäuscht mit dieser Waffe. David aber trug seine Schleuder offen wie ein Mann.‹
›Betrüger‹ riefen wieder einige. Der Mann mit der Fliege in der Nase, dem wohl immer nach schärferen Reizmitteln zumute war, schrie sogar ›Mörder‹.
Und wieder wurden ehrliche Fäuste gegen Knikers jetzt ungeschütztes Haupt erhoben, während er auf meine Rocktasche sah, in der sich etwa dreihundert Gramm Gold befanden.
›Aber nein‹, stotterte er jetzt, ›sie gehört nicht mir, sie ist nur geliehen. Ich kann sie doch gar nicht zahlen!‹ und so weiter – ich gähnte bereits.
Gut‹, lenkte ich schließlich ein und zog die goldene Platte wieder aus der Tasche.
›Ich gebe sie dir zurück, Kniker, wenn du zugibst, daß du betrogen hast.‹
Der Riese räusperte sich, und ich konnte die Geringschätzung in seinen Augen lesen. Ja, er lachte innerlich, denn er würde doch hinterher nur von Erpressung reden und von einer neuen List, die er anwenden mußte. Aber ich verstand mein Geschäft besser als er.
›Schon gut‹, sagte er demütig, ›es war also ein Betrug, ich gebe es zu.‹
›Na siehst du‹, erwiderte ich, steckte die Platte wieder ein und schickte mich erneut an zu gehen.
›Halt, Halt!‹ zeterte Kniker jetzt hysterisch, ›ich habe es zugegeben, du darfst mir die Platte nicht mehr stehlen!‹
›Doch‹, sagte ich nicht ohne Vergnügen, ›denn ich bin ein Räuber, und deinetwegen werde ich meinen Beruf nicht wechseln. Du aber bist ein Rabbiner, und der Rabbi darf nicht betrügen. Betrachte diese Erfahrung als einen Hinweis darauf, wie gerecht es in der Welt zugeht, und hoffe, daß die Betrogenen hier dir nicht deinen empfindlichen Kopf von den Schultern schrauben.‹
Ich verließ Teitelbaums Lokal getragen von einer Wolke aus Gelächter, niemand war mehr feindselig.
Kniker aber wollte in seiner Erregung nicht fähig sein, sich eine größere als die soeben erlittene Strafe vorzustellen und schickte mir einen Orkan von russischen Vokabeln hinterher, die ich in Gegenwart eines wahren Mannes der Religion nicht wiederholen möchte. Er verhielt sich mit anderen Worten nicht sehr respektvoll.«
Mischka schwieg nun, einen gutmütigen Ausdruck im Gesicht, während der Stock in seinem Rücken ungeduldig gegen die Stiefel klopfte.
Birnbaum schluckte verlegen, er wußte zwar, daß es sich bei Nudelmann und Kniker nun wirklich nicht um Geistliche, sondern um Betrüger gehandelt hatte, die in Konkurrenz zueinander von frommen Juden durchgefüttert worden waren, sogar Geld erschlichen hatten, aber er wußte auch, daß der falsche Rabbi Kniker am nächsten Tage einen tödlichen Unfall erlitt, womit jeder Wettbewerb beendet war. Die Elektrische hatte ihn im Gewühl der Christi-Verklärungs-Straße erfaßt und seinen hageren Körper mit einem auf den Magen schlagenden Geräusch in drei fast gleich große Teile geschnitten. Dergleichen kam häufig vor, weswegen die Straßenbahn, von einer Gesellschaft in Brüssel betrieben, auch scherzhaft die belgische Guillotine genannt wurde. Nur daß Kniker in dem Fall gestoßen worden war. Der Zeuge für den Mord allerdings, ein Kommis aus dem Kaufhaus Listenberg, galt als heilloser Trinker, und nur wenige Tage später stürzte auch er eine Treppe hinunter und brach sich den Nacken.
»Derjenige, dessen Namen man nicht aussprechen darf, hat seitdem mich beschützt«, fuhr Mischka unerwartet fort.
Birnbaum nickte vage.
»Bei deinem Mundwerk aber, Rabbi, scheint mir, du hast ihn nötiger als ich.«
Birnbaum und mancher Augenzeuge zuckten zusammen, als das Japanerchen sich an die Brust griff, um dort aus einer Tasche seiner Weste, direkt über dem Herzen, die gravierte Goldplatte hervorzuziehen. Mit einer kurzen Drehung des Handgelenks ließ er sie in der abgenutzten Jacke des Alten verschwinden, ohne ihn zu berühren.
»Es ist eine schlimme Sache mit Jungen, die keinen Vater haben«, sprach Mischka nach einer Weile, in der er befriedigt feststellen konnte, daß es Birnbaum nun völlig die Sprache verschlagen hatte.
»Viele von ihnen gibt es auf diesen Straßen. Sie geraten unter die Räder. Den meisten ist das egal. Schulbildung? Pah!
Die Straße stellt keine Fragen und
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