Trojaspiel
liebsten selbst diesen Beweis seiner Gewogenheit erbringen – und jetzt das: Der gojische Junge hatte sich unter dem Einfluß eines Rabbiners zum jüdischen Samariter entwickelt, wollte seine Mischpoche vor dem Zugriff widriger Mächte retten. Japonchik mußte diese Haltung wunderlich vorkommen. Aber lag in ihr nicht auch jener Korpsgeist, ohne den seine Organisation nicht überleben würde? Er nahm deshalb Theos Selbstlosigkeit als gutes Omen und verfügte freiwillig eine Erweiterung seiner Leistung. Der Räuber ernannte Krasnoglaz, der infolge seiner lachhaften Erscheinung von Kindern oft verfolgt wurde und mit ihnen umzugehen wußte, zum Leibwächter Theos und erntete dafür vom Rotäugigen zum ersten Mal kein Nicken.
Mischka hielt im übrigen Wort. Zipperstein fand Förderung, Ljutov bekam einen Gedichtband finanziert, und Lukin machte mit gefälschten Papieren an der Universität von Odessa, später sogar in Kiew unter dem Namen Otto Schmidt Karriere.
Birnbaum aber fand auf wundersame Weise mehr Unterstützung ergebener Gemeindemitglieder als je zuvor. Er wurde von Theo regelmäßig besucht und eröffnete bald im Hause eines frommen Juden eine Talmudschule, hatte damit ein Auskommen und neue Aufgaben gefunden und verließ das Haus oder öffnete ein Fenster nur noch, um Verwünschungen gegen Japonchik auszustoßen, den größten Verbrecher, den die Welt jemals gesehen hatte.
Ein letztes und gefährliches Mal jedoch sollte der Rabbiner auf den Räuberhauptmann persönlich treffen.
Birnbaum hatte sein einziges Paar Schuhe zum Schuster bringen lassen, um sie dann – komisch genug – in Pantoffeln selber abzuholen, denn der mit diesem Dienst betraute Schüler (er hatte sich schlicht verlaufen, was Theo nie passiert wäre) war weder mit Schuhen noch ohne sie zurückgekehrt.
Die satteste Mittagssonne versuchte gerade auf der Bulgarskistraße das Kunststück, Japonchiks Augen noch enger zu kneifen, als ihm der Rabbi aus der Werkstatt des Schusters Moschko Lifschits eilend, einen Pantoffel in jeder Hand, vor die blanken Stiefel lief. Die Straße war belebt, der Rabbi schnaufte, weil es heiß war, weil er zwar seine Schuhe, nicht aber den Schüler gefunden hatte, und weil er ein alter Mann war. Die Straße wurde noch belebter, Mischka schnaufte, weil er den Rabbiner nicht, wie er es befohlen hatte, beschattet sah, weil es ihn ärgerte, einem Sechsjährigen einmal ein Versprechen gegeben zu haben, und weil er ein Räuber war. Mischka fragte rauh nach des Rabbis Befinden, und Birnbaum brüllte sein »VIELEN DANK!« so laut, daß eine Traube von Menschen die beiden umschloß und um weitere Unterhaltung bat.
»Du läßt es an Respekt fehlen«, sagte Mischka gedämpft. Jeder der Umstehenden hielt den Atem an, und der Rabbi, der Moment seiner zornigen Überraschung war verpufft, begann mit den Zähnen zu klappern. Mangel an Respekt war der Hauptgrund, geschäftlichen Zwist einmal außer acht gelassen, der Mischka morden ließ. Mangel an Respekt, das war kein beleidigter Vorwurf, für gewöhnlich waren das die Worte, die das Japanerchen sprach, bevor in seiner Hand der Lauf eines Brownings auftauchte, wie ein glänzendes Stück Schokolade, das dunkle Flecken auf Hemden und Anzugjacken hinterließ. Die Worte, die man vernahm, bevor der Flügelschlag einer Taube zu hören war, weil Mischkas Stockdegen aus dem Heft geflogen kam, um ein paar Schnitzarbeiten zu verrichten an Brust oder Gesicht eines vorlauten, danach aber rasch in Vergessenheit geratenden Menschen.
»Ich habe einmal einen Streit zwischen zwei von deinesgleichen geschlichtet«, fuhr Mischka fort, wobei er die Hände mitsamt dem gefährlichen Gehstock auf dem Rücken verschränkte, so daß seine breite, unter weißer Seide summende Brust einen deprimierenden Kontrast machte zu Birnbaums lädiertem schwarzen Anzug.
»Ich habe davon gehört«, erwiderte der Rabbi scheu.
»Der eine ein Riese mit einem Kopf nicht größer als eine Dörrpflaume und der andere ein gesunder Zwerg mit einem großen runden Schädel wie ein Kürbis. Sie stritten sich, wie die beiden bläßlichsten Kinder einer Familie, weil sie sich und dem Publikum beweisen wollten, daß gerade in ihrer überzeichneten Gestalt der Allmechtige die Gabe des größten Geistes angelegt hatte. Und weil sie mit dem Reden zu keinem Ende kamen und jeder dem anderen seine Lächerlichkeit vorwarf, beschlossen sie, ihre Köpfe selbst bezeugen zu lassen, welche
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