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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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zehn Stunden am Tag blieb er unter Tage, hatte sich dafür nach und nach eine Ausrüstung zusammengestellt, die kräftezehrende Bedingungen im Kalksandstein leichter erträglich machte. Einer der Nebeneffekte seines Fleißes war, daß Krasnoglaz, der für Theo lieber in jedes Messer und jede Kugel gelaufen wäre, unter seinen Kollegen nicht mehr als Mann fürs Grobe angesehen, sondern als Kindergärtner verspottet wurde und diese Herabsetzung nur ertrug, weil Mischka ihn, Wassilev im Sinn, geduldig von der Wichtigkeit seines Auftrages überzeugt hatte.
       Der Rotäugige besaß nicht das Format und die Übersicht für unterirdische Exkursionen. Da unten stieß man sich leicht den Kopf an, und Sascha konnte es sich nicht leisten, auf ein weiteres Auge zu verzichten. Theo brauchte keine Begleitung. Er wollte sie auch nicht, weil seine maulwurfshaft sichere Orientierung in Odessas geräumigem Keller von einer Zwiesprache mit dessen Räumen und von Instinkten abhing, die durch die Begleitung eines kaum motivierten Japonchik-Soldaten nur gestört worden wären.
       Krasnoglaz sah Theo in einem gefirnißten, von reichlich Schafwolle unterfütterten Leinenanzug in die Unterwelt schlüpfen, zog vielleicht noch den Kinnriemen an seinem von einer Karbidlampe gekrönten Bergmannshelm fest, brachte Picknickkörbe an vorher festgelegte Ausstiege, wünschte Theo auch einen guten Morgen und eine gute Nacht, hatte aber zwischendrin viel Freizeit.
       Sascha hatte großen Respekt vor der Unbeirrbarkeit, mit der Theo, als gäbe es in seinem Alter nicht andere Dinge zu tun, Tag für Tag unter der Erde verschwand, sich dort mit einer stinkenden Karbidlampe auf dem Kopf, mitunter auf allen vieren durch einsturzgefährdete, teilweise vom Meer unterspülte Gänge schlug und dreckverkrustet und durchnäßt wieder auftauchte, erschöpft in die Mjasojedovstraße marschierte, dort noch Schulstunden absolvierte oder Zeichnungen für Mischka anfertigte – das alles, ohne sich zu beklagen.
       Nicht einmal das Kino besuchte der Junge!
       Krasnoglaz hatte in seinem Leben selten große Zielstrebigkeit bewiesen, meistens auf Anweisung gehandelt und empfand, nachdem Theos Werk vorangeschritten war und auch Kritiker, die ihn für verrückt gehalten hatten, verstummt waren, ein geradezu physisches Bedürfnis, dem Jungen zu gefallen und nützlich zu sein.
      
      
       Mischka staunte oft in diesen Jahren. Die Pläne, die Theo Abschnitt für Abschnitt, Straße um Straße und Viertel um Viertel lieferte, hatten sein Geschäft tatsächlich auf solidere Beine gestellt. Der Räuber konnte den Machtbereich des Unternehmens bis unter die Stadt erweitern und sich dabei fast unangreifbar machen. Verfolgungsjagden in den Straßen, wilde Schießereien nach spektakulären Raubzügen, durch Augenzeugen behindert und von Polizeikordons und Sackgassen oft zum Scheitern verurteilt, gehörten der Vergangenheit an.
       Mit Hilfe der Pläne konnte ein verlustfreier Rückzug minutiös geplant werden. Die Beute wurde einfach unterwegs abgelegt, unterirdisch, und wo Zugänge nicht günstig lagen, wurden sie in Hauskellern oder in den Hecken und Rabatten der zahlreichen Parks neu gegraben.
       »Täter wie vom Erdboden verschluckt«, war eine immer häufiger verwendete Phrase im Jargon der Zeitungsreporter. Völlig zutreffend übrigens. Selbst wenn ein Polizist die Augen aufgehalten hatte und den Mut besaß, den Räubern in das Labyrinth zu folgen, mußte er schon nach der ersten oder zweiten Wegkreuzung orientierungslos aufgeben. Tat er das nicht, konnte es passieren, daß Schlagzeilen wie »Polizist ebenfalls vom Erdboden verschluckt!« für Gelächter sorgten oder spätere Leichenfunde ankündigten.
       Auch wenn es halbherzige Bemühungen gab, Teile des als unzugänglich geltenden Tunnelsystems zu kartieren, abzuriegeln oder zu observieren, fehlte es an der Energie für die Gesamtschau. Theo war den amtlichen Speläologen in Uniform in der Tiefe und Breite des Kellerreiches kilometerweit voraus.
       Wenn Japonchik, was nicht selten geschah, über Theo ins Grübeln geriet, dann wunderte ihn einiges, kam ihm manches an dem Jungen sogar unheimlich vor. Nicht ein einziges Mal hatte er in Theos Spinnennetzen einen Webfehler entdeckt. Obwohl der Junge sie geradezu achtlos schnell zu Papier brachte, aus dem Kopf jederzeit Kopien beliebiger Abschnitte anfertigen konnte, all das sogar mit einer gewissen professionellen Verachtung.
       Das Wunder war

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